Kill Whitey
an der Tür, das vom Tatort eines Verbrechens kündete, war durchgeschnitten, die Tür gewaltsam geöffnet worden. Man stellte die Vermutung an, dass Sondra das Geld von Anfang an in meiner Wohnung versteckt hatte. Man meinte, sie hätte es wahrscheinlich irgendwo verstaut, als sie sich frisch machen ging, während Darryl und ich in der Küche saßen und uns darüber unterhielten, wie wir ihr helfen konnten. Ich entgegnete, das sei Blödsinn, und erklärte, dass Sondra, als wir sie fanden, äußerst spärlich bekleidet gewesen war. Sie trug nur eine knappe, blaue Seidenunterhose und ein dazu passendes Oberteil, mehr ein Schlafanzug als sonst etwas. Sie hätte das Geld nirgendwo verstauen können. Und in meinem Jeep konnte sie es nicht versteckt haben, weil dieser verriegelt gewesen war.
Ich habe darüber nachgedacht, mehrere Szenarien durchgespielt. Mittlerweile glaube ich, dass sie das Geld gestohlen hat. Allerdings weiß ich nicht, wo es steckt. Wahrscheinlich ist das auch gut so. Immerhin handelt es sich um Blutgeld. Vielleicht sollte es so wie diejenigen, die dafür gestorben sind, einfach vergraben bleiben.
Wenigstens trug Webster keinen Schaden davon. Er überstand die Geschichte relativ unversehrt. Er war nicht entkommen, als die Polizei meine Wohnung durchsuchte. Er verbrachte einige Tage in einem Tierasyl, das von einem äußerst netten Althippieehepaar betrieben wurde, dann holten ihn meine Eltern von dort ab und behielten ihn bis zu meiner Entlassung bei sich. Inzwischen leben er und ich in einer neuen Wohnung.
Ich denke viel nach. Über Sondra. Über meine Freunde. Ich vermisse sie alle. Sogar Sondra. Besonders sie. Obwohl sie mich betrogen, mich verletzt und mich wie den Vollidioten benutzt hatte, der ich war, vermisste ich sie. Wenn ich träume, dann oft von ihr – von ihrem zugleich nervend und bezaubernd gebrochenen Englisch, davon, wie sie im Takt der Musik auf der Bühne tanzt, von unserem Liebesspiel in meinem Bett, davon, wie wir uns an den Händen halten, während wir durch den Abwasserkanal fliehen. In meinen Träumen sagt sie, dass sie mich liebt und mich niemals verlassen wird. In meinen Träumen sind wir zusammen.
Aber Träume sind bloß Lügen.
In der wahren Welt habe ich sie nie wiedergesehen. Sie ist verschwunden.
Wie Whitey.
Sein Leichnam – das, was davon übrig war – wurde nie gefunden, obwohl Taucher der Staatspolizei und Suchgeräte den Grund des Sees abkämmten. Man fand einen zwei Meter langen Wels, ein gestohlenes Auto und eine andere Leiche – die eines Mädchens im Teenageralter, das seit drei Monaten vermisst wurde, entführt und ermordet, nachdem ihr Fahrzeug an einer einsamen Ausfahrt der Interstate 83 eine Panne gehabt hatte –, aber kein Anzeichen von Whitey. Keine Knochen. Nicht einmal seine Kleider oder seinen Schmuck.
Er war spurlos verschwunden. Die Behörden hatten andere Fälle zu lösen, und dieser hatte sich im Großen und Ganzen recht hübsch zusammengefügt, deshalb gab man es schließlich auf.
Als Erklärung zog man die Theorie heran, dass sich durch das Unwetter die Strömungen des Sees verstärkt hatten, Whiteys Überreste in eines der Schlucklöcher gesogen worden seien und nun irgendwo in dem Höhlensystem unter dem Grund des Sees weilten. Oder der Wels hatte ihn gefressen. Die Polizei schien damit durchaus zufrieden zu sein. Ich sollte es auch akzeptieren.
Aber das tat ich nicht. Ganz und gar nicht.
Etwas mehr als ein Jahr danach war ich spätnachts noch auf. Seit alles geschehen war, litt ich an Schlafstörungen. In meiner neuen Wohnung herrschte Stille. Ich saß auf der Couch, trank ein Bier und streichelte Webster. Gelangweilt schaltete ich die Kanäle durch und suchte nach etwas Interessantem im Fernsehen. Der erste Teil von Freitag, der 13. lief, und ich blieb dabei hängen. Erst gegen Ende des Films erinnerte ich mich an die Unterhaltung, die ich mit Yul und Sondra geführt hatte, als wir uns in dem verlassenen Lagerhaus versteckten. Bevor ich umschalten konnte, tauchte Jason aus dem See auf und griff eine Frau in einem Boot an. Man hatte ihn für tot gehalten, dabei hatte er die ganze Zeit nur gelauert.
Als er aus dem Wasser sprang, schrie ich auf. Ich verschüttete Bier auf den Teppich, und meine Pizza fiel auf die Couch. Die unverhoffte Reaktion erschreckte Webster, und er suchte fauchend das Weite. Mein Nachbar hämmerte an die Wand und mahnte mich, leiser zu sein. Ich hielt mir die Hände über den Mund und schrie erneut.
Webster
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