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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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wohnen. Er mag es, wenn es rund geht. Genau wie ich, als ich so alt war. Ich mag es heute noch.«
    Er versuchte, ihr etwas von sich zu erzählen, und Carol entging dies nicht.
    An der Achterbahn reichte André dem Jungen die nötigen Fahrscheine. Sie sahen zu, wie er, vor Furcht und Vergnügen kreischend wie all die anderen Kinder, die steile Schräge hinaufgezogen wurde und dann wieder hinabsauste.
    »Spielt er überhaupt mit anderen Kindern?«, wollte Carol wissen.
    »Manchmal schon. In Bonn hatte er Freunde, und um die Ecke gibt es ein paar Jungen. Aber wir müssen natürlich vorsichtig sein.«
    Sie nickte.
    André kaufte Zuckerwatte für Michael. Das überraschte sie.
    »Er nimmt also auch richtiges Essen zu sich?«
    »Nicht oft.«
    »Hey, André, wirf einen Spiegel für mich!« Michael stand an einer Jahrmarktbude und deutete auf einen billigen gerahmten Spiegel, auf den ein Bild von LL. Cool J geätzt war. Er hatte es gerade selbst versucht, allerdings ohne Erfolg.
    André bezahlte und warf drei Bälle in einen trichterförmigen Korb, der so konstruiert war, dass sie wieder herausspringen mussten. Aber er warf behutsam, mit der Grazie eines Athleten, und ließ die Bälle mühelos an den Seiten hinaufrollen, während er Michael erklärte, wie man es machen musste, und alle drei blieben, zum großen Kummer des Verkäufers, im Korb liegen. Nachdem Michael seinen Spiegel hatte, versuchten die beiden es noch einmal. Michael warf zu weit, aber wie zuvor blieben Andrés drei Bälle im Korb.
    »So was sollte man verbieten«, witzelte der Verkäufer.
    André drehte sich zu Carol um. »Such dir etwas aus.«
    »Ich nehme das hier«, sagte sie. Der Mann in der Bude reichte ihr eine dümmlich dreinblickende Plüschfledermaus.
    Kaum hatte sie sie in der Hand, hielt sie sie André an den Hals und sagte mit transsilvanischem Akzent: »Ich will dirr das Blutt aussaugen!«
    André lachte, schlang ihr den Arm um die Taille und zog sie an sich, sodass ihre Hüften sich berührten. »Nachher!« Er steckte so voller Kraft, dass sie am ganzen Körper schauderte. Er zwinkerte dem Verkäufer zu und sagte: »Sie steht auf ausgefallene Sachen!«, sodass auch dieser lachen musste.
    Sie fuhren zu dritt Riesenrad, obwohl Michael sich halbherzig beklagte: »Das ist doch blöd! So was macht doch keinen Spaß!« - bis sie ganz oben stehen blieben.
    »Dreh dich um und setz dich, Michel. Sonst fällst du noch raus«, ermahnte André den Jungen.
    Carol blickte über den Rand der Gondel. »Mann, geht es da tief runter. Ich hatte ganz vergessen, wie hoch diese Dinger sind. Aber es ist schön hier oben. Sieh nur, Michael. Da ist der Mond!«
    Die Nacht war klar. Links von ihnen stand das große bläulich-weiße Rund des Mondes am Himmel. Er war fast voll. Am Wochenende haben wir Vollmond, dachte sie. Vielleicht sehe ich ihn heute zum letzten Mal.
    Sie sah zu André hinüber. Ihm gingen wohl ähnliche Gedanken durch den Kopf, denn der Ausdruck auf seinem Gesicht entsprach dem, was sie fühlte. Sie wandten sich voneinander ab.
    Während Michael Autoscooter fuhr, stand sie mit André an der Absperrung und sah ihrem Sohn zu. André legte ihr den Arm um die Schulter. Er ist so stark, dachte sie. Wenn ich mich von ihm doch nur beschützt und nicht bedroht fühlen würde! Warum kann er nicht anders sein?
    »À gauche! À gauche!«, rief André und schüttelte den Kopf.
    Doch Michael lenkte nach rechts und versuchte, sich zwischen zwei Wagen hindurchzuquetschen. Das Ergebnis war, dass er mit beiden frontal zusammenstieß und hinten von einem dritten eingeklemmt wurde.
    »Bis er den Dreh endlich raus hat, ist die Fahrt um. Dann wird er gleich nochmal fahren wollen«, sagte André lachend. Und natürlich wollte Michael noch ein zweites Mal fahren.
    Während sie ihm zusahen, wandte Carol sich an André. »Glaubst du, dass es am Freitag ein Problem für dich sein wird?« Sie hatte sich eine neue Strategie zurechtgelegt - statt ihm zu erzählen, was sie dachte, fragte sie ihn nach seinen Gedankengängen. Er blickte sie an. Sein Gesicht verfinsterte sich, und er nahm seinen Arm weg.
    Als Michaels Fahrt um war, sagte André: »Wir gehen!«
    »Ach, wir sind doch eben erst hergekommen! Den >Salt and Pepper Shaker< will ich noch fahren.«
    »Beim nächsten Mal!« André wirkte angespannt. »Komm jetzt!«
    Sie folgten ihm zum Ausgang und dann zum Wagen. Auf dem Weg dorthin riss er Carol die Plüschfledermaus aus der Hand

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