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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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ja wissen, immerhin wohne ich seit über einem Vierteljahrhundert mit ihm unter einem Dach. Und glaub mir, man sieht es zwar nicht auf den ersten Blick, aber der Typ hat auch seine guten Seiten. Man muss ihn nur dazu bringen, dass er auftaut, das ist alles. Außerdem wird André es sowieso tun, ob du nun willst oder nicht, also kannst du genauso gut versuchen, das Beste daraus zu machen.«
    »Weißt du was, Gerlinde? Wie es aussieht, spielt das, was ich will, überhaupt keine Rolle. Vor neun Jahren habe ich Ja gesagt, und er wollte nicht. Jetzt will ich die Verwandlung nicht mehr und werde trotzdem dazu gezwungen.«
    »Ja, das Leben ist ungerecht«, sagte Gerlinde. Doch dann grinste sie. »Aber wenigstens wird es nie langweilig.«
    Als Carol das Zimmer im Souterrain betrat, fand sie André vor dem Kamin sitzend. Er wandte sich nicht um, als sie hereinkam. Sie knipste das Licht über dem Bett an und setzte sich. Er kehrte ihr weiterhin den Rücken zu.
    Versuch heute Abend bloß nicht, mit ihm zu reden, sagte sie sich. Aber du musst mit ihm reden. Heute ist Dienstag, und in wenigen Tagen haben wir Freitag.
    Jetzt oder nie!
    Zögernd ging sie zu ihm hinüber. Er blickte nicht auf, als sie seinen Sessel umrundete. Seine Augen waren aufs Feuer gerichtet, aber sein  Blick verlor sich in weiter Ferne, und ihr war klar, dass er nichts um  sich herum wahrnahm.
    Sie setzte sich auf den Hocker vor ihm. Eine Minute verging. Nur das Prasseln der Flammen und das Knacken der in den Scheiten eingeschlossenen Harzstücke war zu hören. Unsicher legte Carol ihm ihre Hand aufs Knie. Sein Blick wanderte vom Feuer zu ihrem Gesicht.
    Sie merkte, wie kühl ihr Atem, wie trocken ihr Mund war und dass sie Angst hatte. Sie strich ihm übers Knie und sagte: »Ich glaube, wir schaffen es, unsere Schwierigkeiten zu lösen.« Dabei versuchte sie, zuversichtlich zu klingen. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich weiß, zwischen uns ist nicht immer alles glatt gelaufen, aber ich will es versuchen. Ich will, dass es funktioniert. Ich denke, alles wird gut gehen - das Ritual, meine ich. Sie sagen alle, dass es gar nicht so schlimm ist. Du wirst es schon schaffen.«
    Sie musste sich beherrschen, damit sie nicht anfing zu zittern. Sie berührte sein anderes Knie und lächelte schüchtern. Auf seinem Gesicht zeigte sich keinerlei Regung.
    Bevor sie wusste, wie ihr geschah, umklammerten seine Hände ihre Oberarme und zogen sie an sich. Seine Finger gruben sich ihr in die Haut. Mit einem Mal spiegelte sich die blanke Wut auf seinem Gesicht. »Unterstehe dich, Mitleid mit mir zu haben! Dein Mitgefühl dulde ich nicht!«
    Einen Augenblick lang war Carol wie gelähmt. Doch trotz der Gefahr, dass ein neuerlicher Ausbruch folgen könnte, meldete sich eine innere Stimme zu Wort. »André, ich habe kein Mitleid mit dir. Das ist es nicht, was ich empfinde. Ich bemühe mich, dir beizustehen, aber du lässt mich nicht an dich heran.«
    Einander widerstreitende Gefühle huschten über sein Gesicht. »Nicht!«, sagte er. Sie wusste nicht, was er meinte, ob sie ihn nicht lieben oder nicht mit ihm sprechen sollte oder was auch immer. Behutsam, ganz allmählich schob er sie von sich, so als befürchte er, dass eine zu schnelle Bewegung den Sturm freisetzen könne, der in seinem Inneren tobte. Langsam öffnete er die Hände, ließ sie los und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Plötzlich wirkte er müde. Sein Blick kehrte wieder zum Feuer zurück. »Geh ins Bett«, sagte er tonlos.
    Als er später zu ihr kam, wartete sie, bis er schlief. Ruhig und reglos lag er da. Sie ließ ihre Hand über seine Brust gleiten, doch seine Hand fuhr nach oben und hielt sie auf. Nach ein paar Minuten ließ sie sie weitergleiten, verharrte über seinem Herzen, und er wehrte sich nicht. Irgendwann legte seine Hand sich auf die ihre und hielt sie fest.

29
    Am nächsten Abend sagte André zu ihr: »Wir gehen mit   Michel aus.«
        Sie saßen auf der Rückbank der Limousine, Michael zwischen ihnen,  so lange, bis er am Fenster sitzen wollte und Carol rüberrutschte.
    Zwanzig Minuten später waren sie am Hafen, in dem die großen Schiffe anlegen, wenn sie vom Meer her den St.-Lorenz-Strom herauffahren.
    André stieg alleine aus.
    Als Michael den Miniaturfernseher einschaltete, fragte sie ihn: »Was ist gestern Abend noch passiert, Michael? Nachdem du mit André, Julien und Karl aus dem Zimmer gegangen bist?«
    Michael schaltete ein

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