Kind der Nacht
bekommst ihn zurück, wenn du gehst. Also los!«
Der Aufzug war winzig und überfüllt. Dennoch quetschten sie sich hinein. Sofort legte er ihr den Arm um die Hüfte. Seine Hand rutschte an ihrem Hintern entlang unter ihre Shorts. Jeder konnte es sehen.
Carol schämte sich wie noch nie. Sie war puterrot im Gesicht. Er führt sich auf wie ein rebellischer Teenager, dachte sie. Er ist unberechenbar. Ständig versucht er, mich in Verlegenheit zu bringen oder mich bloßzustellen.
Er bezahlte die Rechnung, während sie ihr Schließfach räumte. Als sie gingen, rief der Empfangschef ihnen nach: »Mademoiselle! Beinahe hätte ich es vergessen. Ein Brief für Sie! Er ist gestern angekommen.«
Sie streckte die Hand danach aus, doch André kam ihr zuvor und nahm den Umschlag in Empfang. Er warf einen flüchtigen Blick auf beide Seiten, ehe er ihn einsteckte. Sie stiegen in den Wagen und fuhren zwei Blocks weiter zu einem Friseursalon.
Der Inhaber, ein kleiner gut aussehender Mann mit affektiertem Gehabe, begrüßte André herzlich, küsste ihn auf beide Wangen und nannte ihn »Ma belle bête noire«. Die meisten der Beschäftigten begrüßten André ebenfalls. Der Inhaber betrachtete Carol mit einem Ausdruck, den sie als Missbilligung interpretierte, ließ seine Hände auf professionelle Weise durch ihr langes Haar gleiten, und ehe sie es sich versah, waren auch schon ihre Haare gewaschen und sie fand sich auf einem Stuhl vor einem riesigen Spiegel wieder. Überrascht registrierte sie, dass sie André im Spiegel sehen konnte. Ich halte ihn tatsächlich schon beinahe für ein Vampir, dachte sie.
Während der Friseur ihr vereinzelte Strähnen hochsteckte und den Schnitt vorbereitete, nahm André auf der Kante der Ladentheke Platz und blätterte in einer Broschüre mit Schnittmustern. Die beiden Männer redeten angeregt miteinander, lachten viel, lieferten sich wild gestikulierend scheinbar einen Wortwechsel und schienen schließlich zu einer Übereinkunft zu gelangen.
Eine halbe Stunde später hatte Carol einen schicken, modernen Kurzhaarschnitt, der von ihrem Gesicht mehr frei ließ, als sie gewohnt war. Der Friseur massierte ihr ein Gel ein und fönte ihr das Haar, während er der Frisur mit den Fingern die richtige Form gab. Dem Resultat verlieh er mit einem Spray endgültigen Sitz. Ein hübsches junges Mädchen kam hinzu und schminkte Carol, zog ihr mit einem Kajalstift die Augen nach, damit sie größer wirkten, und trug ihr einen dunkelroten Lippenstift auf. Carol warf einen Blick in den Spiegel und dachte: Jetzt bin ich wieder ein Teenager!
Ihr nächster Halt war eine elegante Boutique in der Rue Sainte-Catherine. André ließ sie verschiedene Sachen anprobieren und kaufte ihr schließlich dreimal den gleichen Rock, vier Tops und einen eigenartig geschnittenen melonenfarbenen Hosenanzug. Ihr T-Shirt und ihre Shorts wurden zusammen mit den neuen Sachen eingepackt. Sie trug jetzt einen sehr kurzen schwarzen Lederrock, dazu ein quer gestreiftes rot-weißes Röhrentop. Keine Unterwäsche. Er legte ihr einen Gürtel aus silberfarbenen Kettengliedern um die Hüften. Jeweils ein breites Glied war mit zwei kleineren Gliedern verbunden. Vorn wurden sie von einer flachen, spitzwinkligen Metallschnalle in Form eines Vorhängeschlosses mit einem stilisierten Schlüsselloch zusammengehalten. An einem der Glieder hing ein altmodischer Schlüssel. Alles in allem sah sie aus wie eine moderne Gangsterbraut.
Anschließend gingen sie über die Straße, und er kaufte ihr zwei Paar Schuhe mit zehn Zentimeter hohen Absätzen und schmalen Riemchen an den Knöcheln. Sie zog die roten an, ihre eigenen flachen Schuhe wurden gemeinsam mit den schwarzen Lacklederschuhen verpackt.
Auf dem Rückweg zum Wagen sagte sie: »In einem Monat werden mir die Sachen nicht mehr passen.«
»In einem Monat werden sie ohnehin nicht mehr in Mode sein. Dann kaufe ich dir etwas Neues.«
Er ließ noch einmal kurz anhalten. Als er zurückkam, hatte er einen langen silbernen Ohrring dabei, geformt wie ein Paar Handschellen, den sie sofort anzog, und ein nietenbesetztes rotes Lederarmband, in das ein riesiger roter Stein eingelassen war. »Dreh dich um«, verlangte er. Er legte ihr etwas um den Hals. Es saß wie angegossen, aber er zog es so fest zu, dass sie gerade noch zu atmen vermochte. Sie befühlte es mit den Fingern. »Das ist ja ein Hundehalsband!«
»Dann versuch eben, nicht so laut zu
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