Kind der Nacht
winzigen Kühlschrank, der bis auf ein paar Eiswürfel allerdings leer war, ein kleines Schränkchen voller Teller und Tassen und weiterer Utensilien, die aussahen, als seien sie noch nie benutzt worden, zwei Notsitze, ein Radio und einen Kassettenrekorder nebst einem Stapel der neuesten Kassetten, ein Fernsehgerät und einen Videorekorder mit zwei Kassetten - dem neuesten James-Bond-Film und einem französischen Film mit dem Titel La grande bouffe. Sie schaltete den Fernseher ein - alle Shows, die liefen, waren in französischer Sprache - und unternahm den halbherzigen Versuch, einer Sitcom zu folgen.
Es geht alles so schnell, dachte sie. Noch vor einem Monat glaubte ich, ich sei frei, und nun bin ich wieder eine Gefangene, und man zwingt mich, ein kleines Monster zur Welt zu bringen. Und ich bin auch noch selbst schuld daran. Ich begreife ja noch nicht einmal, warum ich überhaupt zurückgekommen bin. Vor drei Tagen erschien es noch ganz vernünftig. Und jetzt kommt mir das alles vor wie ein bizarrer Albtraum.
Aus den Lautsprechern dröhnte das Gelächter, das sie in die Sendung einspielten.
Sie empfand nichts für das Kind in ihrem Leib. Andererseits hatte Carol aber auch nie ein Kind gewollt. Früher, bevor ihre Ehe in die Brüche gegangen war, hatte sie einmal mit Rob darüber gesprochen. Keiner von beiden hatte sich reif genug dafür gefühlt. Sie waren zu jung gewesen, und das Letzte, was sie hatte brauchen können, war ein Kind gewesen. Sie hatte ja noch nicht einmal ihr Juraexamen abgelegt gehabt, und Rob hatte erst am Anfang seiner Karriere gestanden. In ein paar Jahren vielleicht, waren sie übereingekommen. Jetzt war sie froh, dass sie sich Zeit gelassen hatten. Den Wunsch nach einem Kind hatte sie eigentlich nie gehabt. Sie hatte sich nie die Kinder auf der Straße angesehen und gedacht: Wie niedlich, ich hätte auch gerne eines. Die beiden Kinder, die es in ihrem Freundeskreis gegeben hatte, habe man ungefähr drei Stunden am Stück ertragen können. Aber oft genug hatte sie sich gedacht: Gott sei Dank kann ich jetzt nach Hause.
Ein Mann rief »Merde!«, und es erklang weiteres Gelächter. Die Sendung wurde für einen Werbespot unterbrochen - eine Frau in einer weißen Rüschenschürze löffelte mit einer Miene, als könne sie sich nichts Schöneres vorstellen, Suppe in ein paar Teller.
Sie wollte das Kind nicht, dessen war sie sich sicher. Aber sie hatte das Gefühl, es gab jetzt nicht allzu viel, was sie in dieser Situation tun konnte. Im Moment ging es ihr gut, aber in letzter Zeit war ihr ständig übel geworden, und sie hatte sich jeden Tag übergeben müssen, sodass sie sich immerzu nur schwach fühlte. Und emotional war sie am Ende. Zirka fünf Minuten lang fühlte sie sich ruhig und ausgeglichen, und dann, mit einem Schlag, war sie wieder vollkommen aus dem Häuschen, wie Gerlinde zu sagen pflegte. Der Gedanke, dass sie letzte Nacht an Selbstmord gedacht hatte, machte ihr Angst.
Auf dem kleinen Schirm sah sie die Vorschau zu einem Fernsehfilm. Eine Frau, ganz in Schwarz, weinte, während eine andere sich darum bemühte, sie zu trösten.
Ich wollte, es wäre alles ganz anders, dachte Carol. Ich wollte, ich wäre niemals mit dem Virus in Berührung gekommen und dass André normal und immer nur nett zu mir wäre. Sie wünschte sich, dass er nicht immer nur etwas an ihr auszusetzen hätte und sie nicht ständig demütigte und so brutal mit ihr umspränge. Vielleicht würde er sie nun, da sie schwanger war, ja besser behandeln. Er muss, dachte sie. Schließlich will er das Kind nicht in Gefahr bringen. Jetzt habe ich die Möglichkeit, ein bisschen für mich herauszuhandeln.
Carol hörte, wie sich die Fahrertür öffnete und wieder schloss. Gleich darauf öffnete jemand die Fondtür. André stieg ein. Er wirkte wohlauf und gesättigt. Er schaltete Licht und Fernseher aus, griff zum Telefon, drückte ein paar Tasten und sprach mit dem Fahrer. Sie verstand die Worte Medoc Royal. Während der fünf Minuten, die sie brauchten, um in die Innenstadt zu gelangen, drehte André sich zu ihr und musterte sie schweigend.
Als sie am Hotel ankamen, stieg er als Erster aus. Während er durchs Vorderfenster mit dem Chauffeur sprach und ihm Anweisungen erteilte, packte er Carol fest am Oberarm. Sobald der Wagen weg war, wandte er sich zu ihr um und zog sie an sich. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Lege deine Arme um mich«, sagte er leise.
Die
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