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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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Namen der Bäume lernte. Er erzählte ihr, dass er gerne Abenteuergeschichten las und am Computer spielte und mit Gerlinde ins Kino ging. Er erzählte ihr von den Baseballspielen, zu denen André ihn mitnahm, und dass sie an ein paar Abenden in der Woche schwimmen gingen und an den Geräten Gewichte stemmten. Er erzählte, dass er im vergangenen Winter zum ersten Mal Ski fahren war und Hockey spielen lernen wolle und dass er dabei war, sich mit Karls Hilfe ein Chemielabor einzurichten, in dem er eigene Experimente durchführen konnte. Er sagte, er möge Rap und Hip Hop upd Madonna und dass er sich, wenn er älter wäre, die Haare orange färben und einen Irokesenschnitt haben wolle. Carol lachte vor Freude. Alles an ihm faszinierte sie. Sie fragte ihn, was er mochte und was nicht und wofür er sich interessiere. Sie spielten ein Fantasy-Spiel mit Gerlinde. Michael war dabei ganz aufgeregt, und Carol musste sehr an sich halten, um ihn nicht alle fünf Minuten an sich zu drücken. Als die Nacht vorüber war, konnte sie gar nicht glauben, wie schnell die Stunden verstrichen waren.
    »Gehen wir«, sagte André zu ihr. Während die anderen nach oben gingen, stieg sie mit ihm in den Keller hinab.
    »Warum schläfst du eigentlich hier unten?«, wollte Carol wissen.
    »Es erinnert mich so an ein Mausoleum«, erwiderte er spöttisch, schloss die Tür und ließ einen neu installierten Schließriegel einrasten. Einen Moment lang standen sie im Dunkeln, ehe er ein gedämpftes Licht über dem Bett anknipste. Während er sein Hemd auszog, sagte er: »Du kannst hier bei mir schlafen.« Carol streifte ihre Schuhe ab und legte sich hin.
    »Du brauchst nicht in deinen Kleidern zu schlafen«, sagte André. »Ich werde dich schon nicht anfassen.« Nachdem er sich ausgezogen hatte, sah sie, wie er die oberste Schublade der kleineren der beiden Kommoden öffnete und etwas herausnahm.
    »Es ist kühl hier«, sagte sie. Es machte sie nervös, mit ihm allein zu sein. »Ich habe keine Lust, mir einen Schnupfen zu holen. Es erwischt mich immer recht schnell.« Er nahm eine Decke aus dem Schrank und warf sie ihr zu.
    Während sie sie über sich breitete, kletterte André neben ihr ins Bett.
    Mit einem Mal beugte er sich über sie, und sie erstarrte. Er legte ihr eine Handschelle ums linke Handgelenk und kettete sie damit an eine Stange des Kopfteils.
    »Du brauchst mich nicht ans Bett zu fesseln«, meinte sie schockiert. »Ich werde dir schon nichts tun. Und ich gehe auch nirgendwohin. Ich bin hergekommen, um bei Michael zu sein. Ich laufe nicht weg.«
    Er lächelte spöttisch. »Carol, ich traue dir nicht halb so weit wie du mir.« Damit knipste er das Licht aus.
    Schweigend lagen sie nebeneinander. Carol musste über so vieles nachdenken, vor allem Michael ging ihr nicht aus dem Sinn. Sie hatte jedoch auch andere Sorgen, und eine davon betraf ihre frühere Therapeutin. Sie hoffte, Rene würde nicht versuchen, sich einzumischen, zumindest nicht, ehe eine Woche um war. Wenn sie die Polizei rief, würde noch vor morgen früh jedes einzelne Wesen in diesem Haus entlarvt werden. Das wäre eine Katastrophe. Sie würden sie allesamt hinaus ins Sonnenlicht zerren, und womöglich würde Michael von der Sonne verletzt werden. Zum Mindesten würden sie ihn ihr wegnehmen, so lange, bis in einem Gerichtsverfahren geklärt wurde, dass sie seine Mutter war. Und er würde sie dafür hassen, dass sie sein Zuhause zerstört und sie hintergangen hatte. Carol wünschte, sie könnte Rene anrufen und ihr sagen, dass alles in Ordnung sei, wenigstens vorläufig. Aber sie könnte Rene nicht anrufen, ohne einzugestehen, dass tatsächlich noch jemand anders ihre Adresse kannte. Und das wäre nicht klug - jedenfalls nicht heute Nacht.
    »André, ich weiß es zu schätzen, dass du mich bleiben lässt.«
    »Ich habe es für Michel getan, nicht für dich.«
    »Ich weiß. Und ich kann sehen, dass du ihn sehr liebst, genauso sehr wie ich. Darüber bin ich froh.«

26
    Auch am folgenden Abend tauchte keine Polizei auf, und auch nicht am Abend darauf. Carol war erleichtert, dass Rene ihren Wunsch - zumindest vorerst - respektierte. Aber sie musste eine Möglichkeit finden, ihre ehemalige Therapeutin zu erreichen, und zwar bald. Sie war niemals allein, damit kam das Telefon nicht in  Frage, es sei denn, sie beichtete es ihnen, und ihr war nicht wohl bei  diesem Gedanken. Sie hoffte einfach, dass Rene nichts

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