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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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Julien sei zu  Hause in Österreich bei den Kindern. Also bin ich hingefahren und  habe sie im Telefonbuch ausfindig gemacht.«
    »Und weshalb hat Julien dir die Adresse gegeben?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Das ergibt doch keinen Sinn«, warf Karl ein.
    »Das hat seine Familie auch gesagt«, meinte Carol. »Aber als sie  ihm vorwarfen, er würde euch verraten, sagte er Nein, das tue er  nicht. Aber er könne sich dem Schicksal nicht in den Weg stellen.«
    »Ich rufe in Wien an, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist«,  sagte Karl.
    »Wie hast du dich denn erinnern können?«, wollte Chloe wissen.
    »Durch eine Therapie. Sie dauerte Jahre. Hypnose, meistenteils.  Ich hatte jemanden, der an mich glaubte.«
    »Jemand weiß Bescheid über uns!«, sagte Chloe und warf André  einen Blick zu.
    »Sie wird sich nicht einmischen.«
    »Kennt diese Therapeutin unsere Adresse?«
    Carol zögerte. Sie wollte Rene nicht in diese Sache hineinziehen.  »Sie hat mir lediglich dabei geholfen, mein verlorenes Gedächtnis  zurückzuerlangen. Sie weiß, dass ich in Montreal bin, mehr nicht. Es  besteht keine Gefahr für euch.«
    Michael blickte sie noch immer unverwandt an, und sie erwiderte  seinen Blick. Er ist gesund, dachte sie. Intelligent, so viel ist  offensichtlich, und süß. Er hat von uns beiden jeweils nur das Beste  mitbekommen.
    »Warum bist du zurückgekommen?«, wollte Chloe wissen.
    In diesem Moment kam Gerlinde mit einem Tablett voller Wein kelche herein. Sie bot jedem einen an, auch Michael. »Rhesus-Faktor  positiv«, sagte sie. Für Carol hatte sie ein kleines Glas Rotwein dabei.  »Besser, du trinkst das, Schätzchen. Es wird eine lange Nacht.«
    Carol sah zu, wie ihr Sohn den Inhalt seines Glases hinunterstürzte, a ls handle es sich um Milch. Sein Mund war rot verschmiert, und er  hatte einen roten Schnurrbart auf der Oberlippe. Er leckte ihn ab und w ischte sich anschließend mit dem Ärmel die Lippen. Sie fand es  keineswegs abstoßend. Er ist doch noch ein Kind, dachte sie. Und  zwar meins.
    »Warum?«, fragte Chloe noch einmal und brachte sie damit wieder zurück in die Gegenwart.
    »Ich bin gekommen, um Michael zu holen«, sagte sie und beschloss, ihnen alles zu erzählen. Jetzt spielte es auch keine Rolle mehr.
    »Jahrelang habe ich mich abgemüht, mein Gedächtnis wiederzuerlangen. Die Hypnose hat den Schaden behoben, den du angerichtet hast«, sagte sie, zu André gewandt. Sein Gesicht war eine bleiche Maske, in der sie nicht zu lesen vermochte.
    Einer nach dem anderen setzten sie sich um sie und lauschten ihrer Geschichte. Sie erzählte ihnen von der Therapie. Von Robs Tod, dem Tod ihrer Mutter, von ihrer Einsamkeit und wie schwer alles gewesen war. Sie blickte Michael an. »Die letzten beiden Jahre habe ich damit verbracht, nach dir zu suchen«, erklärte sie dem Jungen. »Ich habe überall gesucht - in Frankreich, Spanien, Deutschland, fast in ganz Europa.«
    »Wir waren in Deutschland«, sagte Gerlinde. »In Bonn - fünf Jahre, bevor wir hierher gezogen sind.«
    »In Bonn war ich auch«, sagte Carol. »Schließlich ist mir die Sache mit Österreich eingefallen. Nachdem Julien mir eure Adresse gegeben hatte, bin ich gleich hergekommen. Das alles habe ich nur getan, um dich zu finden, Michael«, sagte sie ihm.
    »Carol, dies ist eine schwierige Zeit für Michael«, sagte Chloe. »Er ist jetzt in einem Alter, in dem er Entscheidungen treffen muss, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.«
    »An meinem Geburtstag muss ich bestimmen, ob ich sterblich oder unsterblich sein will«, vertraute der Junge ihr an. Die Entscheidung schien ihn nicht allzu sehr zu belasten.
    Seine Augen sehen genauso aus wie meine, dachte sie. Er ist so zart und doch so kräftig. Ich liebe ihn.
    »Ich habe nicht vor, mich einzumischen«, versicherte Carol ihm. Sie blickte die anderen an. »Wirklich nicht! Ich will nur bei ihm sein.«
    »Bei ihm zu sein heißt aber schon, sich einzumischen«, sagte Karl, der gerade wieder das Zimmer betrat. »Im Moment ist die Zeit nicht günstig, deinen Einfluss auf ihn geltend zu machen.«
    »Die Zeit ist noch nie günstig für meinen Einfluss gewesen!«, fuhr Carol ihn an. »Aber ich bin seine Mutter. Ich habe das Recht, bei meinem Sohn zu sein.«
    »Das einzige Recht, das du hast, ist dasjenige, welches wir dir zugestehen; und im Moment hast du keines!« Damit stand André auf.
    »Ich will, dass sie bleibt.« Es war Michael, der dies sagte.

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