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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kilpatrick
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Alle waren verblüfft.
    Nach minutenlangem bedeutungsvollem Schweigen sagte Gerlinde: »Hey, vielleicht ist die Idee gar nicht so schlecht.«
    »Bist du wahnsinnig?«, herrschte André sie an.
    »Meiner Meinung nach ist es das Schlimmste, was passieren kann«, sagte Karl.
    Chloe schwieg.
    »Ich meine«, fuhr Gerlinde fort, »was kann es denn schaden? Michel sollte die Möglichkeit haben, seine Mutter kennen zu lernen. Und es wird seine Entscheidung nicht beeinflussen, weder in die eine noch in die andere Richtung.«
    »Ich will, dass sie dableibt«, sagte Michael noch einmal.
    »Ich bin dagegen«, sagte Karl.
    »Es kann niemandem wehtun«, lächelte Gerlinde.
    »André, ich denke, du wirst das entscheiden müssen«, wandte Chloe sich an ihn. »Wie du siehst, sind wir uneins. Und du bist Michels Vater. Wenn du einverstanden bist, dass sie bleibt, wirst du für sie verantwortlich sein. Und falls nicht, liegt es an dir, eine Entscheidung zu fällen, was mit ihr geschehen soll.«
    »Papa, laisse-la rester!«, sagte Michael, indem er zu André lief. »Bitte, lass meine Mutter bleiben!«
    André blickte auf den Jungen hinab. Carol sah, dass zwischen den beiden nicht nur eine ganz besondere Beziehung bestand, sondern auch, dass Michael Andrés Herz mit einem einzigen Blick zum Schmelzen bringen konnte, genau wie es auch bei ihr der Fall sein würde. Dies spürte sie bereits jetzt.
    André zerzauste Michael das Haar, und der Junge hängte sich an  seinen Arm. Schließlich sagte er zu seinem Sohn: »Wir machen jetzt  einen Spaziergang und reden darüber.« Nachdem sie gegangen waren, v erließ auch Chloe das Zimmer. Sie sagte, sie wolle noch einmal Julien  anrufen und beim Chinesen etwas für Carol bestellen.
    »Du hast ganz schön was durchgemacht, Kleines«, sagte Gerlinde.
    »Ja, das habe ich wohl«, räumte Carol ein. »Aber ich musste ihn ei nfach sehen. Er ist wunderschön. Du hast dich wirklich gut um ihn g ekümmert. Dafür bin ich dir dankbar.«
    »Wir haben ihn alle gemeinsam aufgezogen, trotzdem danke. Weißt du, du siehst gar nicht gut aus. Natürlich, du bist älter geworden. Ich bin jedes Mal ganz fertig, wenn ich mitbekomme, wie ihr Sterblichen altert.«
    »Ich bin erst vierunddreißig«, entgegnete Carol lachend. »Aber in den letzten Jahren habe ich mich ganz schön gequält. Es war harte Arbeit, mich so gut in Form zu halten.«
    »Was ist mit dem Virus?«, wollte Karl wissen.
    »Vor drei Jahren ist der Test positiv ausgefallen. Ich weiß nicht, ob sich das seither geändert hat. Ich bin oft krank. Erkältungen, Grippe, solche Sachen. Aber seit dem Test bin ich bei keinem Arzt mehr gewesen. Ich nehme an, ich wollte es vermeiden, Schlimmeres zu erfahren.«
    Als André und Michael zurückkehrten, kam auch Chloe wieder zu ihnen ins Wohnzimmer, um sich die Entscheidung anzuhören.
    Sie setzten sich alle, bis auf André. »Michel hat mich davon überzeugt, dass er Carol unbedingt näher kennenlernen muss. Wir werden es fünf Nächte lang versuchen, und dann entscheide ich, wie wir weiter verfahren.«
    Carol und Gerlinde umarmten einander.
    »Du kannst einen Teil der Nacht mit Michel verbringen, aber einer von uns wird immer im selben Raum mit euch bleiben«, sagte er Carol. »Die meiste Zeit werde ich für dich zuständig sein; tagsüber bleibst du bei mir. Ich werde den Wagen zurückbringen. Wo hast du deine Sachen?«
    »Das meiste davon trage ich am Leib. Ich habe mein Hotelzimmer schon geräumt.«
    Michael kam zu Carol herüber. Diesmal hielt sie sich nicht zurück. Sie streckte die Hand nach ihm aus und umarmte ihn. Er fühlte sich warm und weich an, als sie ihn an ihre Brust zog. Er erwiderte ihre Umarmung, schlang ihr die Arme um den Hals. Sie berührte sein Haar, es war seidig, kindlich. Sie nahm seinen Geruch wahr und erinnerte sich an den Duft. Er ist stämmig und doch zugleich so zerbrechlich, dachte sie. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass all ihre Mühe zu diesem Augenblick geführt hatte, und sie konnte nicht länger an sich halten.
    »Warum weinst du?«, wollte Michael wissen und strich ihr übers Haar, so wie ein Kind eben einen Erwachsenen tröstet.
    »Weil ich dich so sehr liebe, dass es wehtut.«
    Als die Nacht bereits fortgeschritten war, schleppte er seinen zahmen Leguan und seine Hamster an, um sie ihr zu zeigen. Er erzählte ihr, dass Chloe oft mit ihm im Wald spazieren ging und hoch auf den Berg und dass sie Pflanzen sammelten und er die

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