Kind der Prophezeiung
sagte sie und berührte mit der Messerspitze nachdenklich seinen Arm am Ellbogen.
Mit Tränen in den Augen stürzte Doroon den Rest der Flüssigkeit hinunter, und ein paar Minuten später war ihm der Kopf auf die Brust gesunken, während er noch auf dem Stuhl saß. Trotzdem schrie er einmal auf, als Tante Pol den gebrochenen Knochen richtete, aber nachdem der Arm geschient und verbunden war, döste er wieder ein. Tante Pol sprach kurz mit der erschrockenen Mutter des Jungen und ließ Durnik ihn dann ins Bett bringen.
»Du hättest ihm doch nicht wirklich den Arm abgeschnitten«, sagte Garion.
Tante Pol sah ihn an, ohne eine Miene zu verziehen. »Ach?« meinte sie, und er war sich nicht mehr so sicher. »Ich glaube, ich möchte jetzt gern ein Wörtchen mit dem kleinen Fräulein Zubrette reden«, sagte sie dann.
»Sie ist weggelaufen, als Doroon vom Baum fiel«, sagte Garion.
»Hol sie her!«
»Sie versteckt sich«, protestierte Garion.
»Sie versteckt sich immer, wenn etwas schiefgeht. Ich weiß nicht, wo ich sie suchen soll.«
»Garion«, sagte Tante Pol. »Ich habe dich nicht gefragt, ob du weißt, wo du sie suchen sollst. Ich habe dir aufgetragen, sie zu finden und zu mir zu bringen.«
»Und wenn sie nicht kommen will?«, versuchte er es noch einmal.
»Garion!« Es lag eine schreckliche Endgültigkeit in Tante Pols Ton. Garion floh.
»Ich hatte nichts damit zu tun«, log Zubrette, kaum daß Garion sie zu Tante Pol in die Küche gebracht hatte.
»Du«, sagte Tante Pol und deutete auf einen Hocker, »setz dich!«
Zubrette sank mit offenem Mund und weitaufgerissenen Augen auf den Hocker.
»Du«, sagte Tante Pol zu Garion und deutete auf die Küchentür, »raus!«
Garion verschwand schleunigst.
Zehn Minuten später stolperte ein schluchzendes kleines Mädchen aus der Küche. Tante Pol stand auf der Schwelle und sah ihr nach mit Augen kalt wie Eis.
»Hast du sie verhauen?« fragte Garion hoffnungsvoll.
Tante Pol warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Natürlich nicht«, sagte sie. »Man verhaut keine kleinen Mädchen.«
»Ich hätte es getan«, meinte Garion enttäuscht. »Was hast du dann mit ihr gemacht?«
»Hast du eigentlich nichts zu tun?« fragte Tante Pol.
»Nein«, antwortete Garion, »eigentlich nicht.« Das war natürlich ein Fehler.
»Gut«, meinte Tante Pol und fand eines seiner Ohren. »Es wird Zeit, daß du dir dein Brot verdienst. Du findest einige schmutzige Töpfe in der Spülküche. Ich hätte sie gern geschrubbt.«
»Ich weiß nicht, warum du eigentlich mit mir böse bist«, wandte Garion ein. »Es war nicht meine Schuld, daß Doroon auf den Baum geklettert ist.«
»Die Spülküche, Garion«, sagte sie. »Sofort.«
Der Rest dieses Frühlings und der Frühsommer verliefen ruhig. Doroon konnte natürlich nicht spielen, solange sein Arm nicht verheilt war, und Zubrette war so erschüttert über das, was immer Tante Pol ihr gesagt haben mochte, daß sie die beiden anderen Jungen mied. Garion blieb nur noch Rundorig zum Spielen, und Rundorig war nicht helle genug, als daß man mit ihm viel Spaß haben konnte. Da wirklich nichts anderes zu tun war, gingen die beiden Jungen oft auf die Felder, um den Arbeitern zuzuschauen und ihren Gesprächen zu lauschen.
In eben diesem Sommer sprachen die Männer auf Faldors Farm über die Schlacht von Vo Mimbre, das umstürzendste Ereignis in der Geschichte des Westens.
Alles hatte im Jahre 4865 – nach der Zeitrechnung der Menschen in jenem Teil der Welt – begonnen, als große Scharen von Murgos und Nadrakern und Thulls über die Berge nach Süden in Drasnien eingefallen waren, und nach ihnen in endlosen Wellen die unzählbaren Horden der Malloreaner.
Nachdem Drasnien überrannt worden war, wandten sich die Angarakaner nach Süden gegen die weiten Steppen von Algarien und belagerten die riesige Festung, die die Algarische Feste genannt wurde. Die Belagerung dauerte acht Jahre, bis Kal Torak schließlich verärgert aufgab. Erst, als er seine Armee westwärts nach Ulgoland führte, bemerkten die anderen Königreiche, daß die Invasion der Angarakaner nicht nur gegen die Alorner, sondern gegen den gesamten Westen gerichtet war. Im Sommer 4875 war Kal Torak auf die arendische Ebene vor der Stadt Vo Mimbre herabgezogen, und dort erwarteten ihn die vereinten Armeen des Westens.
Die Sendarer, die an der Schlacht teilnahmen, waren Teil der Streitkräfte unter der Führung von Brand, dem Rivanischen Hüter. Diese Streitkräfte, die aus Rivanern,
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