Kind des Grals
kaum hörbar. Dennoch begriffen sie beide seine Bedeutung und Ursache im selben Moment.
Grell flammte der Kelch auf.
Im ersten Augenblick wußte Lilith nicht sicher, ob sie bereits in ihn hineingesogen wurde - oder ob sich die Energie, die in ihm schlummerte, lediglich nach außen entlud.
Der Purpur ertränkte alles.
Und sprengte die Tür, die von draußen, von der Stube aus, verschlossen worden war.
Dann -
*
David Chaim fieberte mit seiner kleinen Schwester. Weil er ihre Nöte mitbekam. Ihre Verzweiflung. Und ihren Sieg über die Angst, die in ihr fressen mußte!
Selbst wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, sich ihr verständlich zu machen, hätte er nicht versucht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Rahel tat, was getan werden mußte. Sie packte die vielleicht einzige Chance beim Schopf, die ihnen noch blieb!
Als die Tür der Abstellkammer aufflog, entlud sich Davids ganze Anspannung in einem Schrei.
Ein Schrei, der ihm zunächst gar nicht selbst bewußt wurde, bis er die Gewalt über seine Muskeln wiedererlangte. Bis er Rahel zubrüllte: »Paß auf!« Und sich auf allen Vieren schützend zwischen sie und die beiden Fremden brachte!
Er fragte nicht, warum er sich auf einmal wieder bewegen konnte. Er ballte die Fäuste und reckte sie in Richtung der beiden Gestalten, die aus dem blendenden Purpur heraus auf ihn und Rahel zustürmten.
»Nein! Wagt es nicht, sie -«
Das schreckliche Licht erlosch.
Der Mann und die Frau standen wie fremdartige Erscheinungen vor ihnen, und die Frau sagte: »Ihr macht es mir nicht leicht, für euch einzutreten! Ihr müßt bleiben, bis wir gegangen sind, dürft nicht wegrennen. Seid froh, daß er euch geschont hat. Er hätte euch ebensogut .«
»Die Schonzeit ist vorbei!« fällte der Mann neben ihr unerbittlich sein Urteil. »Du siehst nun selbst, daß sie keine Schonung verdienen.
Sie haben die Abmachung nicht eingehalten!«
»Abmachung?« David würgte das Wort förmlich heraus. »Wir haben keine Abmachung -«
Ein Blick ließ ihn verstummen.
Der Blick war die schrecklichste Drohung, der er sich jemals ausgesetzt gefühlt hatte.
»Nein! Ich bin immer noch dagegen!« rief die Frau, deren Schönheit David ebenso mißtraute wie ihrer angeblichen Fürsprache für ihn und seine Schwester. Seit er seine Eltern tot hatte daliegen sehen, war sein Glaube an alles und jeden abhanden gekommen.
Er zitterte. Seine Arme und Beine, auf die er sich stützte und über die er so lange keine Gewalt mehr gehabt hatte, wollten nachgeben. Die Schwäche drohte ihn an den Fußboden zu nageln.
Hinter ihm schluchzte seine Schwester. »Hört auf! Geht! Geht doch endlich!« wimmerte sie.
Es zerriß ihm das Herz. Das Herz des Mannes, der mit versteinerter, götzenhafter Miene vor ihnen stand, erweichte es nicht. Wenn er überhaupt ein Herz hatte.
Anum hob den Arm und richtete ihn wie eine Lanze auf Rahel. »Sie widersteht meinem Willen! Begreifst du nicht, daß ich das nicht dulden kann? Ihr Bruder ist normal, aber sie . Als wir noch über das Reich Sumer regierten, hätten wir solchen Widerstand auch nicht geduldet! Sie widersteht meinem Willen, aber ihm hier .« Er hob die andere Hand, in der er einen Trinkpokal hielt, wie David noch keinen gesehen hatte. »... ihm wird sie nicht widerstehen! Er wird das Geheimnis, das sie verbirgt, aufdecken!«
»Du würdest es auch gegen meinen Willen tun?«
Sie stritten sich. David begriff erst nach einer Weile, wie aggressiv der Ton der beiden Fremden war. Wie uneins sie sich offenbar über das Schicksal ihrer Gefangenen waren!
»Willst du mir dorthin folgen, wo die Antwort liegt?«
»Nein.« »Dein letztes Wort?«
»In dieser Sache - ja!«
»Dann«, sagte er, »werde ich alleine gehen. Und wenn ich zurückkomme, werde ich dich meine Entscheidung wissen lassen!«
Der Blick der Frau wirkte verhangen, als sie fragte: »Du bist nicht davon abzubringen?«
»Nein!«
Es schien, als akzeptierte sie es.
Auch wenn David nicht annähernd verstand, worüber genau sie sprachen, so kam das abrupte Ende des Streits ihm doch wie eine letzte Bestätigung seiner schrecklichsten Befürchtungen vor.
Wie das endgültig gefällte Todesurteil über ihn und Rahel .
*
Anum hatte sich wieder in die Kammer zurückgezogen und die Tür hinter sich geschlossen. Er ließ Lilith mit den beiden Kindern allein, über deren Schicksal er nach seiner »Rückkehr« entscheiden wollte.
Rahel Chaims Gesicht war verkniffen, als Lilith näher auf sie zu trat. Sie hatte eine
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