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Kinder der Retorte

Kinder der Retorte

Titel: Kinder der Retorte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Kleidern zum Wechseln, einem Tablett mit Erfrischungsgetränken und einer Zeitung. »Wo ist Mrs. Krug?« fragte er. »Schläft sie noch?«
    »Sie ist am Strand«, erklärte ihm ein Beta-Hausdiener.
    Manuel zog sich rasch um, nahm ein Erfrischungsgetränk zu sich und ging hinaus zum Strand. Clarissa watete etwa einhundert Meter entfernt in der Brandung; drei langbeinige Strandvögel rannten in wilden Kreisen um sie herum, und sie rief ihnen zu, lachte, klatschte in die Hände. Er war fast bei ihr, bevor sie ihn bemerkte. Nach Liliths wollüstiger Üppigkeit wirkte sie mit ihrem kindlichen Körper noch unreifer als sonst: schmale Hüften, flacher Knabenhintern, die Brüste einer Zwölfjährigen. Das dunkle haarige Dreieck zwischen ihren Leisten paßte nicht dazu. Wie zum Hohn, dachte er kopfschüttelnd. Ich mache Kinder zu meinen Frauen, und Plastikweiber zu meinen Mätressen. »Clarissa?« rief er.
    Sie fuhr herum. »Oh! Du hast mich zu Tode erschreckt!«
    »Vergnügst du dich im Wasser? Ist es nicht zu kalt für dich?«
    »Es ist nie zu kalt für mich. Das weißt du, Manuel. Hat es dir gefallen in der Androidenfabrik?«
    »Es war interessant«, antwortete er. »Wie geht es dir? Ich sehe, du fühlst dich besser.«
    »Besser? War ich krank?«
    Er sah sie befremdet an. »Als wir am Turm waren… warst du, nun, außer Fassung…«
    »Ach das! Ich hatte es fast vergessen. Gott, es war schrecklich, nicht wahr? Wieviel Uhr ist es, Manuel?«
    »16.48 Uhr, eine Minute mehr oder weniger.«
    »Dann ziehe ich mich besser gleich um. Wir müssen zu dieser frühen Dinnerparty in Hongkong.«
    Er bewunderte ihre Fähigkeit, Traumata abzustreifen. Er sagte: »Es ist jetzt erst Morgen in Hongkong. Kein Grund zur Eile.«
    »Nun, dann willst du vielleicht mit mir schwimmen? Das Wasser ist nicht so kalt wie du denkst. Oder…« Sie unterbrach sich. »Du hast mich noch nicht zur Begrüßung geküßt.«
    »Hallo«, sagte er.
    »Hallo. Ich liebe dich.«
    »Ich liebe dich«, sagte er. Er küßte sie. Es war ihm, als küsse er Alabaster. Der Geschmack von Lilith war noch immer auf seinen Lippen. Welche ist die lebendigere Frau? fragte er sich. Welche das kalte, künstliche Ding? Während er seine Frau umarmte, hatte er keinerlei Empfindungen. Er löste sich von ihr. Sie packte ihn am Handgelenk, zog ihn mit sich in die Brandung, und sie schwammen eine Weile. Er kam fröstelnd aus dem Wasser. Im Abendzwielicht tranken sie Cocktails im Atrium. »Du wirkst so abgespannt«, sagte sie. »Das kommt von diesem Transmatspringen. Es nimmt einen mehr mit, als die Ärzte wahrhaben möchten.«
    Auf der Party dieses Abends trug sie einen einmaligen Schatz, ein Halsband aus tropfenförmigen, rußfarbenen Glasperlen. Eine Sonde der ›Krug Enterprises‹ hatte sie als Materialprobe aus einer Entfernung von 7½ Lichtjahren von dem ausgeglühten und sterbenden Stern Volker mitgebracht. Krug hatte sie ihr zur Hochzeit geschenkt. Welche andere Frau trug ein Halsband aus Klumpen von einem dunklen Stern? Doch Wunder wurden als selbstverständlich hingenommen in Clarissas gesellschaftlichen Kreisen. Keiner von den Dinnergästen nahm Notiz von dem Halsband. Manuel und Clarissa blieben auf der Party bis spät nach Mitternacht Hongkonger Zeit, so daß, als sie nach Mendocino zurückkehrten, in Kalifornien bereits die Sonne schien. Nachdem sie acht Stunden Schlaf für sich programmiert hatten, verschlossen sie ihr Schlafzimmer. Manuel hatte das Gefühl für die Zeit verloren, doch er argwöhnte, daß er mehr als vierundzwanzig Stunden hintereinander wach gewesen war. Manchmal ist es schwer, mit dem Transmatleben fertig zu werden, dachte er, und verdunkelte die Fenster.
8
    18. Oktober 2218
    Der Turm hat die Höhe von 280 Meter erreicht und wächst sichtlich mit jeder Stunde. Bei Tage funkelt und glänzt er selbst im bleichen Licht der arktischen Sonne und sieht aus wie ein schimmernder Speer, den ein Riese in die Tundra gestoßen hat. Bei Nacht leuchtet er noch greller, denn er reflektiert das Licht der Myriaden Scheinwerfer, in deren Licht die Nachtschichten arbeiten.
    Seine wirkliche Schönheit wird sich erst später offenbaren. Was bis jetzt existiert, ist notwendigerweise die breite und dickwandige Basis. Justin Maledettos Plan sieht einen sich elegant nach oben verjüngenden Turm vor, einen schlanken Glasobelisken, der bis in die Stratosphäre ragen soll, und die Linie der Verjüngung wird eben erst sichtbar, um schließlich in einer dünnen Spitze

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