Kinder der Retorte
wirklich. Niemand wird Alphas in der Gammastadt belästigen. Sie machen sich manchmal einander das Leben schwer, aber das ist etwas anderes. Wir gehören der höchsten Kaste an, und sie halten sich von uns fern.
Ich sagte, einen Alpha werden sie vielleicht nicht belästigen. Aber wie ist es mit mir? Sie haben vielleicht etwas gegen menschliche Touristen.
Lilith sagte, sie würde mich verkleiden. Einen Alpha aus mir machen. Das hätte einen gewissen Reiz. Versuchung, Geheimnis. Es wäre vielleicht eine romantische Abwechslung für Lilith und mich, ein solches Spiel zu spielen. Ich fragte, werden sie nicht erkennen, daß ich nicht echt bin? Und sie sagte, sie betrachten Alphas nicht so genau. Sie haben eine anerzogene soziale Distanz. Gammas beachten diese Distanz, Manuel.
Gut, gehen wir in die Gammastadt.
Wir planten den Ausflug für die nächste Woche. Ich arrangierte alles mit Clarissa: Ich muß zum Mond, sagte ich, würde erst in zwei Tagen zurück sein. Kein Problem. Clarissa würde die Zeit mit ihren Freunden in Neuseeland verbringen. Ich frage mich manchmal, ob Clarissa irgend etwas ahnt. Oder was sie sagen würde, wenn sie alles wüßte. Ich bin versucht, zu ihr zu sagen, Clarissa, ich habe in Stockholm eine Androidin als Mätresse, sie besitzt seltene Qualitäten im Bett und einen phantastischen Körper, wie gefällt dir das? Clarissa ist keine Kleinbürgerin, aber sie ist empfindsam. Vielleicht fühlt sie sich überflüssig. Oder vielleicht sagt sie bei ihrer großen Liebe für die unterdrückten Androiden, wie nett von dir, Manuel, eine von ihnen glücklich zu machen. Ich habe nichts dagegen, deine Liebe mit einer Androidin zu teilen. Bring sie einmal mit zum Tee. Ich frage mich, wie sie sich verhalten würde.
Der Tag kommt. Ich gehe zu Lilith. Ich trete ein und sie ist nackt. Zieh deine Kleider aus, sagt sie. Ich lächle verlegen. Etwas plump. Gewiß. Gewiß. Ich ziehe mich aus und greife nach ihr. Sie macht einen kleinen Tanzschritt, und ich greife ins Leere.
Nicht jetzt, Dummkopf. Wenn wir zurückkommen. Wir müssen dich jetzt verkleiden.
Sie nimmt eine Spraytube. Sie stellt sie zuerst auf neutral ein und überdeckt die Spiegelplatte auf meiner Stirn. Androiden tragen so etwas nicht. Die Ohrläppchenpflöcke weg, befiehlt sie. Ich ziehe sie heraus, und sie füllt die Öffnung mit Gelatine. Dann beginnt sie, mich mit Rot einzusprühen. Muß ich meinen Körper rasieren, frage ich. Nein, sagt sie. Du wirst doch deine Kleider nicht in Gegenwart anderer ablegen. Sie färbt mich vollkommen ein mit einem mattschimmernden Rot. Ich sehe aus wie ein echter Android. Dann bedeckt sie mich von der Brust bis zu den Schenkeln mit einem Wärmespray. Es wird kalt draußen sein, sagt sie. Androiden tragen keine schweren Kleider. So, zieh dich an.
Sie reicht mir ein Gewand. Hochgeschlossenes Hemd, hautenge Hosen. Offensichtlich Androidenkleidung, und offensichtlich auch Alphastil. Legt sich an meinen Körper wie ein Trikot. Hoffentlich bekommst du keine Erektion, sagt sie. Du würdest dir die Hosen zerreißen. Sie lacht und streichelt mein Geschlecht.
Woher hast du die Kleider?
Ich habe sie mir von Thor Watchmann geliehen.
Hast du ihm gesagt, wofür du sie brauchst?
Nein, sagt sie, natürlich nicht. Ich sagte nur, ich brauche sie. Laß uns jetzt sehen, wie du aussiehst! Wunderbar, wunderbar! Ein vollkommener Alpha. Geh durchs Zimmer. Komm zurück. Gehe etwas stolzer. Bedenke, du bist das Endprodukt der menschlichen Evolution, die perfekteste Version des homo sapiens, die je aus einer Retorte gekommen ist, mit all den Stärken eines Menschen und ohne eine seiner Schwächen. Du bist ein Alpha… hm. Wir brauchen einen Namen, für den Fall, daß dich jemand fragt. Lilith denkt eine Weile nach. Alpha Leviticus Leaper, sagt sie. Wie heißt du?
Alpha Leviticus Leaper, sage ich.
Nein, wenn jemand dich fragt, sagst du Leviticus Leaper. Man kann sehen, daß du ein Alpha bist. Andere Leute werden dich Alpha Leaper nennen. Klar?
Klar!
Sie zieht sich an. Zuerst ein Wärmespray, dann eine Art von goldenem Netz über die Brüste bis hinunter zur Mitte der Sehenkel. Sonst nichts. Die Brustwarzen sind sichtbar durch die Maschen des Netzes. Auch unten ist nicht viel verborgen. Das entspricht nicht ganz meiner Vorstellung von Winterkleidung. Androiden müssen den Winter mehr genießen als wir Menschen.
Willst du dich selbst sehen, bevor wir gehen, Alpha Leaper?
Ja.
Sie wirft Spiegelstaub in die Luft. Nachdem die Moleküle
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