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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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düster. Alptraumhafte Flüge endeten stets mit der Schlinge.
    Viele Stunden vor Sonnenaufgang, es war noch dunkel, wachte sie durch den Klang von Musik auf.
    Neben ihr schlief Evan und schnarchte ruhig in seinen Federkissen. Maris stand auf, zog sich an und verließ das Schlafzimmer. Bari lag ruhig in ihrem Bett. Sie schlief den Schlaf eines unschuldigen Kindes, das frei war von der Last, die auf den anderen ruhte. Auch S’Rella schlief noch.
    Colls Zimmer war leer.
    Maris folgte dem leisen Klang der Musik. Sie fand ihn draußen an eine Hauswand gelehnt sitzen. Die ruhige Melancholie seiner Gitarre füllte die kühle Luft vor der Dämmerung.
    Maris setzte sich neben ihn ins feuchte Gras. „Arbeitest du an einem Lied?“
    „Ja“, sagte Coll. Seine Finger glitten bedächtig über die Saiten. „Woher weißt du das?“
    „Ich erinnere mich“, sagte Maris. „Als wir jung waren, bist du auch immer mitten in der Nacht aufgestanden und nach draußen gegangen, um in aller Heimlichkeit zu arbeiten.“
    Coll schlug noch einen traurigen Schlußakkord, bevor er die Gitarre wegstellte. „Ich bin ein Gewohnheitsmensch“, sagte er.
    „Ich habe keine andere Wahl. Die Worte schwirrten in meinem Kopf herum und ließen mich nicht schlafen.“
    „Ist es fertig?“
    „Nein. Ich möchte es ‚Tyas Sturz* nennen. Den Text habe ich fast zusammen, aber die Melodie fehlt noch. Ich kann es fast schon hören, aber es klingt jedesmal anders. Manchmal ist es dunkel und tragisch, ein langsames, trauriges Lied, wie die Ballade von Aron und Jeni. Andererseits bin ich der Meinung, es sollte schnell sein. Es sollte pulsieren wie das Blut eines wütenden Mannes, es sollte brennen, verletzen und dröhnen. Was meinst du dazu, große Schwester? Wie soll ich es machen? Was empfindest du, wenn du an Tya denkst? Wut oder Trauer?“
    „Beides“, sagte Maris. „Das nützt dir zwar nichts, aber so empfinde ich. Beides und mehr. Ich fühle mich schuldig, Coll.“
    Sie erzählte ihm von Arrilan und seinen Begleitern und dem Angebot, das sie ihr unterbreitet hatten. Coll hörte ihr aufmerksam zu. Als sie aufhörte zu sprechen, nahm er ihre Hand. Seine Finger waren von Schwielen übersät, aber sie waren warm und zärtlich. „Das habe ich nicht gewußt“, sagte er. „S’Rella hat nichts davon erzählt.“
    „Ich glaube nicht, daß S’Rella davon weiß“, sagte Maris. „Wahrscheinlich hat Val Arrilan verboten, über meine Weigerung zu sprechen. Was sie auch über ihn sagen, Val Einflügler hat ein gutes Herz.“
    „Dein Schuldgefühl ist Unsinn“, sagte Coll zu ihr. „Selbst wenn du hingegangen wärst, hätte es wahrscheinlich nichts geändert. Eine Person mehr oder weniger ändert nichts. Die Versammlung hätte so oder so das Urteil gefällt und Tya zum Hängen verurteilt. Du solltest dich nicht mit etwas quälen, das du nicht verhindern konntest.“
    „Vielleicht hast du recht“, sagte Maris. „Aber ich hätte es versuchen müssen, Coll. Vielleicht hätten sie auf mich gehört. Dorrel und seine Freunde, die Gruppe aus Sturmstadt, Corina, sogar Corm. Sie alle kennen mich. Val konnte sie nicht überzeugen. Aber mir hätte es gelingen können, die Flieger zu vereinen, wenn ich den Vorsitz übernommen hätte, worum mich Val gebeten hatte.“
    „Reine Spekulation“, sagte Coll. „Du quälst dich ganz unnötig.“
    „Vielleicht ist es an der Zeit, mich zu quälen“, sagte Maris. „Ich hatte Angst, daß man mir weh tun würde, deshalb bin ich nicht mit Arrilan gegangen, als er mich darum bat. Ich war feige.“
    „Du kannst nicht die Verantwortung für alle Flieger von Windhaven übernehmen, Maris. Du mußt zuerst an dich und deine Bedürfnisse denken.“
    Maris lächelte. „Vor langer Zeit habe ich nur an mich gedacht und dadurch die ganze Welt so verändert, wie es mir gefiel. Ich habe mir eingeredet, daß ich es für die Allgemeinheit tat, aber du und ich, wir wissen es besser. Barrion hatte recht, Coll. Ich war naiv. Ich hatte keine Ahnung, wo das alles hinführen würde. Ich wollte nur fliegen.
    Ich hätte gehen müssen, Coll. Das war meine Pflicht. Aber ich habe nur an meinen Schmerz und mein Leben gedacht, als ich mich um größere Dinge hätte kümmern müssen.
    Tyas Blut klebt an meinen Händen.“ Sie hielt eine Hand hoch.
    Coll ergriff sie und drückte sie. „Unsinn. Alles, was ich sehe, ist meine Schwester, die sich für nichts und wieder nichts selbst zerfleischt. Tya ist tot. Es gibt nichts, was du hättest tun können,

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