Kinder der Stürme
Maris. Für einen Moment schwieg sie, denn ihr gingen so viele Gedanken durch den Kopf, daß sie Angst hatte zu sprechen. Val war ihr fremd geworden. Sie verstanden sich, wie sie Coll gesagt hatte, aber Val war noch immer launisch und temperamentvoll, das hatte er auf der Versammlung bewiesen. Es würde ihm schwerfallen zuzugeben, daß er sich geirrt hatte.
„Ich hätte kommen sollen, als du nach mir schicktest“, sagte sie nach einer Weile. „Aber ich hatte Angst und war egoistisch. Vielleicht hätte ich die Teilung verhindern können, wenn ich gekommen wäre.“
„Das ist sinnlos“, sagte Val tonlos, „was geschehen ist, ist geschehen.“
„Das heißt nicht, daß man es nicht ändern kann. Ich verstehe ja, daß du etwas tun mußtest, aber vielleicht stellt sich heraus, daß es schlimmer war, als wenn du nichts getan hättest. Was tust du, wenn die Flieger dir die Flügel wegnehmen und die Einflügler für immer auf den Boden verbannen?“
„Sie sollen es nur versuchen.“
„Was könntest du dagegen tun? Gegen alle einzeln kämpfen, Mann gegen Mann? Nein. Wenn die Flieger beabsichtigen, allen die Flügel wegzunehmen, die dich unterstützt haben, könntest du nichts dagegen tun. Vielleicht könntest du einige von ihnen töten, aber das hätte zur Folge, daß es mehr tote Tyas gäbe. Die Landmänner würden die Flieger mit der ganzen Macht der Landwachen unterstützen.“
„Wenn das geschieht.“ Val sah Maris an, sein Gesicht war beängstigend ruhig. „Wenn das geschieht, wirst du deinen Traum begraben müssen. Bedeutet dir das soviel? Immer noch? Obwohl du weißt, daß du nie wieder fliegen kannst?“
„Das ist wichtiger als mein Traum oder mein Leben“, sagte Maris. „Viel wichtiger. Und du weißt es. Du machst dir auch Sorgen, Val.“
Um sie herum schien sich ein Ring von Stille zu schließen, selbst Colls Finger lagen bewegungslos auf den Saiten seiner Gitarre.
„Ja“, sagte Val, das Wort klang wie ein Seufzen. „Aber was … was kannst du tun?“
„Die Folgen aufheben“, sagte Maris sofort. „Bevor deine Feinde sie gegen dich verwenden.“
„Wird der Landmann Tyas Tod durch den Strang aufheben? Nein, Maris, diese Sanktion ist das einzige, was wir haben. Entweder die anderen Flieger unterstützen uns, oder die Spaltung bleibt.“
„Das ist doch sinnlos“, sagte Maris. „Thayos wird die Einflügler nicht vermissen. Die geborenen Flieger werden kommen und gehen, so daß der Landmann genügend Flügel zur Verfügung haben wird, um seine Botschaften zu übermitteln. Das bringt nichts.“
„Aber es bedeutet, daß wir zu unserem Wort stehen und keinen Verrat begehen. Außerdem haben alle dafür gestimmt. Selbst wenn ich wollte, könnte ich allein diese Entscheidung nicht rückgängig machen. Diese Anstrengungen sind umsonst.“
Maris lächelte gequält, aber sie hatte ein Fünkchen Hoffnung. Val begann nachzugeben. „Laß deine Spaße, Val. Du bist die Einflügler. Deshalb habe ich nach dir geschickt. Wir beide wissen, daß sie tun werden, was du vorschlägst.“
„Soll ich vergessen was der Landmann getan hat? Soll ich Tya vergessen?“
„Niemand wird Tya vergessen.“
Ein sanfter Akkord erklang. „Mein Lied wird dafür sorgen“, sagte Coll. „In ein paar Tagen werde ich es in Port Thayos vortragen, und andere Sänger werden es übernehmen. Bald wird man es überall kennen.“
Val sah ihn ungläubig an. „Hast du wirklich vor, dieses Lied in Port Thayos zu singen? Bist du verrückt? Weißt du denn nicht, daß schon allein Tyas Name Zank und Streit in Port Thayos auslösen wird? Wenn du dein Lied dort in einer Kneipe vorträgst, wird es nicht lange dauern, und du liegst mit durchschnittener Kehle im Rinnstein.“ *
„Sänger genießen eine besondere Freiheit“, sagte Coll. „Besonders, wenn sie gut sind. Zunächst wird Tyas Name sicherlich böse Reaktionen hervorrufen, aber wenn sie das Lied erst gehört haben, werden sie anders darüber denken. Es wird nicht lange dauern und Tya wird als Heldin, als tragisches Opfer gelten. Und mein Lied wird dies bewirkt haben, auch wenn das nur den wenigsten bewußt sein wird.“
„So viel Arroganz ist mir noch nicht begegnet“, sagte Val amüsiert. Er sah Maris an. „Hast du ihm das eingeredet?“
„Wir haben darüber gesprochen.“
„Habt ihr auch darüber gesprochen, daß er möglicherweise getötet wird? Vielleicht gefällt es einigen Leuten tatsächlich zu hören, wie edel Tya war, aber wütende und betrunkene
Weitere Kostenlose Bücher