Kinder Des Nebels
gute Laune an.
Vin wusste nicht genau, was sie von diesem Raum fernhielt. Sie zögerte, als ob Licht und Gelächter eine Barriere bildeten, und blieb lieber in dem stillen, ernsten Werkraum. Aus der Dunkelheit sah sie aber zu und war nicht in der Lage, ihr Verlangen ganz zu unterdrücken.
Wenig später kehrte Kelsier zurück und hatte sein Gepäck sowie ein kleines Stoffbündel dabei. Vin betrachtete das Bündel neugierig, und er übergab es ihr mit einem Lächeln. »Ein Geschenk.«
Der Stoff fühlte sich unter Vins Fingern glatt und weich an, und rasch erkannte sie, was es war. Sie entrollte das graue Material und stellte fest, dass es sich um den Umhang eines Nebelgeborenen handelte. Wie der Mantel, den Kelsier in der vergangenen Nacht getragen hatte, bestand auch dieser hier vollständig aus einzelnen, bänderartigen Stoffstreifen.
»Du wirkst überrascht«, bemerkte Kelsier.
»Ich ... ich war der Meinung, ich müsste ihn mir erst verdienen.«
»Was gibt es denn da zu verdienen?«, fragte Kelsier und zog seinen eigenen Umhang aus. »Du bist, was du bist, Vin.«
Sie verstummte, warf sich dann den Umhang über die Schultern und band ihn fest. Er fühlte sich ... anders an. Dick und schwer lag er auf ihren Schultern, aber um die Arme und Beine war er leicht und keinesfalls beengend. Die Bänder waren oben zusammengenäht, so dass man den Mantel so eng zusammenziehen konnte, wie es einem beliebte. Sie fühlte sich ... eingehüllt. Geschützt.
»Na, wie ist das?«, fragte Kelsier. »Gut«, sagte Vin einfach nur.
Kelsier nickte und holte einige Glasphiolen hervor. Zwei davon gab er ihr. »Trink eine aus und behalte die andere, falls du sie einmal brauchen solltest. Später zeige ich dir, wie man neue Phiolen anmischt.«
Vin nickte, schüttete den Inhalt der ersten Phiole hinunter und verstaute die zweite in ihrem Gürtel.
»Ich werde dafür sorgen, dass man dir neue Kleidung schneidert«, sagte Kelsier. »Du wirst dich daran gewöhnen müssen, Sachen zu tragen, die keinerlei Metall an sich haben: Gürtel ohne Schnallen, Schuhe, in die man einfach nur hineinschlüpft, und Hosen ohne Verschlüsse. Später, wenn du es dir zutraust, bekommst du richtige Frauenkleidung.«
Vin errötete leicht.
Kelsier lachte. »Ich wollte dich nur ein wenig aufziehen. Wie dem auch sei, jetzt betrittst du eine neue Welt. Du wirst feststellen, dass du in Situationen geraten wirst, in denen es für dich von Vorteil ist, wenn du nicht wie eine Diebin, sondern wie eine junge Dame aussiehst.«
Vin nickte und folgte Kelsier, als dieser zur Vordertür des Ladens ging.
Er drückte das Portal auf, hinter dem eine Wand aus dunklem, sich regendem Nebel lag. Kelsier schritt in ihn hinein. Vin holte tief Luft und folgte ihm.
Kelsier schloss die Tür hinter ihnen. Die gepflasterte Straße wirkte auf Vin wie erstickt, und die treibenden Nebel machten alles ein wenig feucht. In keine Richtung konnte sie weit sehen, und die Enden der Straße schienen ins Nichts zu münden, wie Pfade ins Unendliche. Über ihr war kein Himmel, sondern nur wirbelndes Grau in endlosen Strömungen.
»Wir sollten anfangen«, sagte Kelsier. Seine Stimme klang laut auf der stillen, leeren Straße. In seinem Tonfall lag eine Zuversicht, die Vin angesichts des Nebels überall um sie herum nicht zu teilen vermochte.
»Deine erste Lektion«, sagte Kelsier, während er die Straße entlangschlenderte und Vin neben ihm herging, »handelt nicht von der Allomantie, sondern von einer bestimmten Einstellung.« Er deutete mit der Hand nach vorn. »Das hier, Vin, ist
unsere
Welt. Die Nacht, der Nebel - all das gehört zu uns. Die Skaa meiden den Nebel, als wäre er der Tod höchstpersönlich. Diebe und Soldaten begeben sich zwar nachts nach draußen, aber auch sie haben Angst. Die Adligen tun so, als mache ihnen das alles nichts aus, aber sie fühlen sich im Nebel ebenfalls unbehaglich.«
Er drehte sich um und sah sie an. »Der Nebel ist unser Freund, Vin. Er versteckt dich, er beschützt dich ... und er verleiht dir Kraft. Der Lehre des Ministeriums zufolge - die den meisten Skaa unbekannt ist - sind die Nebelgeborenen die Abkömmlinge der einzigen Menschen, die dem Obersten Herrscher vor dessen Erhebung die Treue gehalten hatten. Andere Legenden berichten davon, dass wir uns jenseits der Macht des Großen Herrschers befinden und an jenem Tag ins Leben traten, als die Nebel erstmals über das Land kamen.«
Vin nickte schwach. Es erschien ihr seltsam, dass Kelsier so offen mit
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