Kinder des Wassermanns
exorzisieren!« rief sie. »Warum, im Namen der Gerechtigkeit, können wir die Christen nicht exorzisieren?«
»Es gibt keine Gerechtigkeit. Es tut mir leid.« Tauno rollte sich auf die Seite und kehrte ihr den Rücken zu.
Sie setzte sich hoch, sah ihn an, fuhr ihm mit der Hand über die Seite, ließ sie auf seiner Hüfte ruhen. »Mach dir keine Vorwürfe, mein Bruder«, stieß sie hervor. »Es gibt schlimmere Flüche. Wir beide haben eine Welt, in der wir leben können.«
Er antwortete nicht. »Wir werden Kameraden bleiben – Waffenbrüder«, sagte sic.
Die mühsame Reise, die hinter ihnen lag, wurde zum Segen. Er schlief.
Er erwachte und sah andere Sternbilder. Das Feuer war erstorben, die Kälte hatte zugenommen. Sein Körper hatte die Nahrung zu Wärme verbrannt, jetzt quälte ihn der Hunger von neuem. Er streckte sich und lächelte. Die Erinnerung strömte zurück wie eine Springflut. Er schnappte nach Luft.
Gleich darauf bemerkte er, daß Eyjan nicht da war. Er runzelte die Stirn, erhob sich, hielt Ausschau. In dieser engen Kluft konnte sie sich nicht vor ihm verstecken. Wo war sie dann? Mit Feensinnen suchte er. Sie war nicht wieder ins Wasser gegangen. Also der Fußpfad ... aye, ihre Spur, schwach, aber unverkennbar, sandte ihm Schauer durch das Blut.
Er blieb stehen. Er erriet, weshalb sie hinaufgeklettert war, aber er konnte sich irren, oder es konnte ihr in dieser christlichen Wildnis eine Gefahr begegnen. Sein Entschluß war gefaßt. Er legte den Messergürtel um, ergriff die Harpune und stieg ihr nach.
Der Mond war untergegangen. Von der Höhe aus senkte sich ein mit Heidekraut bewachsener Abhang in Moorland hinab. Rauhreif und weiße Schneeflecke tupften das Grau. Tauno lief schnell den Pfad entlang, der der Küste folgte, bis er südwärts in ein flaches Tal abbog. Dies beschützte ein Feld, das der Heide abgerungen war für eine magere Ernte von Hafer und Gerste, aber hauptsächlich für die Schafe, die im Sommer umherstreiften. Tauno sah ihren Pferch, die Heuschober, zwei sich zusammendrängende Häuschen. Dahinter erhoben sich ein Wikinger-Grabhügel und die Überreste eines piktischen Turms.
Die Spur führte dorthin. Tauno folgte ihr. Als er näher kam, bellten ein paar Hunde, und wie immer winselten sie und flohen, sobald sie ihn gerochen hatten.
Ein leiseres Geräusch zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er duckte sich, schlich näher, bis er durch die offene Tür eines Schuppens blicken konnte. Eine Frau – alt durch schwere Arbeit, obwohl sie einen Säugling in ihren Armen wiegte – stand darin und weinte. Zwei halberwachsene Töchter waren zu ihren Füßen niedergesunken. Sie zitterten vor Kälte, keine von den dreien trug mehr als ein Hemd, das hastig übergeworfen sein mußte.
Tauno drang zur Hütte vor. Unter den niedrigen Sparren eines Torfdaches schimmerte Licht durch Ritzen in den Fensterläden. Er legte sein Ohr gegen eine Wand, strengte alle Sinne an.
Sie sagten ihm, daß vier menschliche Männer drinnen waren, die laut schnauften, und Eyjan, die jaulte wie eine Katze. Während Tauno horchte, schrie einer der Kerle auf. Sofort war Eyjans Stimme zu hören: »Du bist der nächste, Roderick!«
Taunos Knöchel wurden weiß um den Harpunenschaft.
Nun, dachte er lange Zeit später, er hatte sich bei niemandem als sich selbst dafür zu bedanken, und welche Bedeutung hatte es denn überhaupt? Gelächter rasselte in seiner Kehle, als er sich vorstellte, was der Kleinbauer und seine Söhne sich gedacht haben mochten, als sie nackt aus der Nacht kam und an ihre Tür pochte. Das Amulett befähigte sie, ihnen alles vorzuschnurren, was sie wollte: wahrscheinlich, sie sei von Elfenart, aber keine tödliche Gefahr für Leben oder Seele, sie fürchte das Kreuz nicht, sie könne den Namen Christi aussprechen. Weiter hatten die Männer ihr Glück bestimmt nicht auf die Probe gestellt.
Tauno kehrte ins Lager zurück. Als Eyjan im Morgengrauen eintraf, tat er, als würde er schlafen.
3
Jetzt, wo der Vodianoi fort war, wurde der Winter für die Vilja eine Zeit völliger Einsamkeit. Im Wasser gab es nichts als Fische, die niemals Gesellschaft für sie und obendrein zu dieser Jahreszeit schläfrig waren und sie selten mit ihrer schimmernden Sommer-Anmut erfreuten. Die Frösche quakten nicht in der Dämmerung, sondern schliefen, tief im Schlamm verborgen. Schwäne, Gänse, Enten, Pelikane waren davongezogen; was an Vögeln in der Nähe des Sees blieb, waren keine Schwimmer oder Taucher,
Weitere Kostenlose Bücher