Kinder des Wassermanns
dich gezückt wird, ergib dich, flehe um dein Leben. Und gehe in Deckung, sobald der Kampf losbricht. Ich brauche nicht deinen Leichnam, Ingeborg. Ich brauche dich.«
»Tauno, Tauno.« Ihr Mund suchte den seinen.
»Ich muß gehen«, hauchte er ihr ins Ohr. »Bis morgen.«
Er kehrte ebenso vorsichtig ins Meer zurück, wie er es verlassen hatte. Da seine Umarmung ihr zerlumptes Kleid naßgemacht hatte, dachte Ingeborg, am besten bleibe sie, wo sie war, bis es trocknete. Schlafen würde sie sowieso nicht können. Sie fiel auf die Knie. »Ehre sei Gott in der Höhe«, stammelte sie. »Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade ... oh, du bist eine Frau, du wirst es verstehen ... der Herr ist mit dir ...«
»He, da drinnen!« rief ein Seemann. »Hör auf mit dem Gewinsel! Hältst du dich für eine Nonne?«
»Wie gefalle ich dir als himmlischer Bräutigam?« grölte der Ausguck vom Mast herunter.
Ingeborgs Stimme verstummte, ihre Seele nicht. Und nach kurzer Zeit drehten die Wachtposten die Köpfe in eine andere Richtung. Delphine kamen an das Schiff, zwei Dutzend, und kreisten und kreisten. In der hellen Nacht hinterließen sie eine deutliche Schaumspur. Sie waren unheimlich ruhig; ihre Rückenflossen standen hoch wie scharfe Waffen, die Schnäbel grinsten, die kleinen Augen rollten in boshafter Lust.
Die Männer riefen Ranild aus seiner Koje. Mit finsterem Gesicht zupfte er sich am Bart. »Das gefällt mir nicht«, brummte er. »Hahn des Heiligen Petrus, wie wünschte ich, wir hätten die beiden letzten von dem Fischvolk aufgespießt! Sie planen Böses, davon bin ich überzeugt ... Allerdings bezweifele ich, daß sie versuchen werden, die Kogge zu versenken, denn wie sollten sie dann das Gold wegbringen? Ganz zu schweigen von ihrer Freundin, der Hure.«
»Sollten wir Niels vielleicht vorläufig auch noch am Leben lassen?« fragte Sivard.
»Hm-m-m ... nein. Zeigen wir den Bastarden, daß wir es ernst meinen. Ruft über das Wasser hin, daß Stockfisch-Ingeborg sich auf Schlimmeres als Hängen gefaßt machen kann, wenn sie uns noch länger belästigen.« Ranild benetzte einen Finger und hob ihn. »Ich fühle eine Spur von Wind. Wahrscheinlich können wir morgen früh lossegeln, sobald wir mit Niels fertig sind.« Er zog sein Kurzschwert und schwang es gegen die kreisenden Delphine. »Hört ihr? Schleicht euch zurück in eure Unterwasserhöhle, seelenlose Dinger! Ein christlicher Mann will nach Hause fahren!«
Die Nacht verging. Die Delphine taten nichts anderes, als daß sie rings um das Schiff schwammen. Schließlich gelangte Ranild zu der Überzeugung, mehr zu tun seien sie nicht fähig, seine Feinde hätten sie in der ohnmächtigen Hoffnung, sie könnten etwas erfahren oder in noch ohnmächtigerem Zorn geschickt.
Der Wind frischte auf. Die Wellen wurden kabbelig und schlugen lauter gegen den Schiffsrumpf, der zu schaukeln begann. An den blassen Sternen vorbei flog unerklärlicherweise ein Zug wilder Schwäne.
Die Sterne verblaßten im frühen Sommermorgen. Im Osten wurde der Himmel weiß. Im Westen blieb er silberblau und trug einen geisterhaften Mond. Die Kuppen der Wellen schmolzen unter dem Licht, die Täler waren purpurn und schwarz. Überall schimmerte und funkelte die See in einem Grün, das der Farbe bestimmter alchimistischer Flammen glich. Das Wasser brodelte und spritzte Schaum. Der Wind pfiff durch die Wanten.
Männer zwangen Niels mit den Spitzen ihrer Piken, die Bugleiter aus dem Frachtraum hinaufzusteigen. Seine Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, was ihm das Klettern schwermachte. Zweimal fiel er, zu ihrem lauten Ergötzen. Seine Kleider waren blutbefleckt und stanken, aber sein flatterndes Haar und sein dauniger Bart fingen den Glanz der noch unsichtbaren Sonne ein. Er spreizte die Beine weit ge gen das Rollen des Schiffs und trank tief die feuchte, wilde Luft ein.
Torben und Palle hielten Wache an den Schanzkleidern. Lave und Tyge bewachten den Gefangenen. Ingeborg stand auf der Seite, das Gesicht ausdruckslos, ein Glosen in den Augen. Unerschrocken blickte Niels auf Ranild. Der Skipper hielt die Schlinge eines Taus in der Hand, das über die Rahnock lief. »Da wir keinen Priester haben«, sagte der Junge, »wirst du mich da noch ein Vaterunser sprechen lassen?«
»Warum?« fragte der Skipper mit Nachdruck.
Ingeborg trat näher. »Vielleicht kann ich dir die Beichte abnehmen.« »He?« Ranild war verblüfft. Gleich darauf begannen er und seine Männer zu wiehern. »Also, von mir aus
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