Kinder des Wassermanns
Tisch. »Macht euch klar, daß ich euch
nicht
angeboten habe, euer Komplize zu werden. Ich habe nur eine Frage gestellt, um zu sehen, wie ihr darauf reagieren würdet. Meine Pflicht ist es, diese Sache zu melden – nein, nicht dem Vogt, sondern gleich dem Baron. In der Zwischenzeit kann ich euch nicht entfliehen lassen, nicht wahr?
Nun denkt einmal nach, ihr beide. Ich habe gehört, daß Junker Falkvors Henker geschickter als die meisten anderen ist. Es wird für seinen Herrn aus dem, was von euch übrigbleibt, die ganze Geschichte herausholen.«
»Und Ihr werdet zweifellos eine hübsche Belohnung bekommen«, höhnte die Frau.
»Das ist der vorsichtige Kurs für mich«, führte Aksel weiter aus. »Es täte mir leid, müßte ich ihn steuern, denn ich habe glückliche Erinnerungen an dich, Ingeborg, und dein Kamerad hat noch sein ganzes Leben vor sich. Deshalb setzt euch hin, damit ich versuchen kann, euch zur Vernunft zu bringen.«
»Niels«, sagte Ingeborg.
Ihr Freund verstand. Sein Messer flog aus der Scheide. Es war in diesem halbdunklen Raum von furchterregender Größe.
»Wir gehen jetzt«, erklärte er. »Ihr werdet uns hinausbegleiten. Macht man uns Schwierigkeiten, werdet Ihr zuerst sterben. Aufstehen!«
Aksel, ganz bleich geworden, erhob sich. Das war kein Junge mehr, der ihn bedrohte. Niels steckte die Klinge wieder ein, blieb aber dicht neben ihm. Ingeborg ließ den Ring in ihren Ausschnitt fallen.
Sie verließen das Haus zu dritt. In einer Seitengasse, die ein Stück weiter weg war, ließ Niels den Kaufmann laufen. Als Aksel in die Straße gestolpert war, mußte Ingeborg ihrer Bitterkeit Luft machen. »Ich habe ihn noch für den besten von dem ganzen Haufen gehalten! Wo gibt es in der Christenheit Erbarmen?«
»Wir machen besser, daß wir wegkommen, bevor er Leute zusammenruft«, warnte Niels.
Auf Umwegen erreichten sie den Mariager-Fjord. Dort wartete ein kleines Schiff, das die Häfen entlang dem Sund anlaufen wollte, auf die Flut. Ingeborg und Niels hatten ihre Plätze bereits bezahlt und brachten an Bord, was sie brauchen würden. Das war eine weise Vorsichtsmaßnahme von ihnen gewesen. Dem Kapitän hatten sie zusätzlich soviel Geld gegeben, daß er eine ganze Nacht lang auf ihre Gesundheit trinken konnte, und so ließ er sie in seiner Kajüte ausruhen, bis das Schiff in See stach.
3
Ein voller Mond stand hoch in einem frostigen Ring. Nur wenige Sterne leuchteten durch seine Helligkeit, die die Wipfel der Bäume rings um den See im Rauhreif schimmern ließ und auch die kleinste Welle mit Silber bestreute. Ein Wind trug Herbstkühle heran und raschelte durch sterbende Blätter.
Der Vodianoi erhob sich vom Grund und schwamm zum Ufer. Er wurde alt, wenn der Mond abnahm, jung, wenn er zunahm; diese Nacht hatte er das höchste Ausmaß seiner Macht und seines Hungers erreicht. Sein Körper von der Größe dreier Schlachtrosse, auf dem Moos und nachschleppende Schlingpflanzen wuchsen, war wie der eines Mannes gestaltet, nur daß er einen dicken Schwanz, lange Zehen mit Schwimmhäuten und mit Klauen versehene Vordertatzen hatte. Das Gesicht war flach mit Borsten um den höhlenartigen Mund. Die Augen glühten rot wie Kohlen.
Als sein Bauch den Boden berührte, hielt er an. Durch die Dunkelheit unter den Bäumen klang ein Geräusch an seine Ohren, als würden Büsche zur Seite gebogen und als kämen Schritte näher. Was Menschen hier auch nach Dunkelwerden zu suchen hatten, vielleicht war einer von ihnen unvorsichtig genug, in den See hinauszuwaten. Der Vodianoi lag still da wie ein Stein. Die silberglänzenden Furchen, die er durchs Wasser gezogen hatte, glätteten sich.
Eine Gestalt glitt aus dem Schatten und verhielt auf dem Gras am Rand des Wassers: aufrecht, schlank, weiß wie der Mond. Lachen perlte. »Oh, du Dummer! Ich will dir zeigen, wie man sich auf die Lauer legt.« Schnell wie der Wind flog sie in eine nahe stehende Eiche. »Hier hast du etwas zu essen!« Eicheln sausten durch die Luft und prallten von der Haut des Ungeheuers ab.
Vor Zorn stieß er ein donnertiefes Grunzen aus. Ständig in diesen letzten drei Jahren hatte die Vilja ihn geärgert. Er hatte sich sogar mühsam ein paar Schritte aufs Land gewälzt und versucht, sie zu fangen, was ihm nichts als ihren Spott eingebracht hatte. Bald mußte sie den Wald verlassen, weil sie den Winter unter der Oberfläche von See und Fluß zu verbringen pflegte, aber das nützte dem Vodianoi nichts. Obwohl die Kälte sie schläfrig
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