Kinder des Wassermanns
machte, blieb sie doch immer zu wachsam und zu schnell für ihn. Außerdem wußte er in seinem trüben Verstand recht gut, wenn er nicht gerade vor Wut außer sich war, daß er wahrscheinlich einem solchen Geist gar nichts anhaben konnte. Das einzig Gute war, daß sie ihn in der kalten Jahreszeit nur wie eine Schlafwandlerin grüßte, wenn sie sich begegneten.
»Ich weiß«, rief sie, »du hoffst, du bekommst eine Beute zu packen, schöner Mann. Das wirst du aber nicht.« Mit einer Handbewegung ließ sie einen kleinen Wirbelwind um ihn kreisen. »Sie gehören mir, diese Reisenden.« Ihre Stimmung schlug um. Der Wind erstarb. »Aber warum sind sie des Nachts unterwegs?« fragte sie sich selbst mit einer Stimme, die ihre Verwirrung verriet. »Und sie tragen kein Feuer mit sich, um dabei zu sehen. Männer würden Feuer mitbringen – richtig? Ich kann mich nicht erinnern ...«
Auf ihrem hohen Sitz umarmte sie ihre Knie, schaukelte sich vor und zurück, ließ ihr helles, wolkiges Haar in einer Brise flattern, die kaum eine Locke derjenigen, die sich näherten, bewegte. Plötzlich rief sie: »Es sind
keine
Menschen – die meisten von ihnen – , keine wirclichen Menschen.« Sie kletterte höher, um sich zu verstecken.
Der Vodianoi zischte ihr nach, ließ sich unter die Oberfläche sinken und wartete.
Die Meermenschen kamen aus dem Wald. Zwanzig waren es, angeführt von Vanimen, nackt bis auf die Messergürtel, aber mit Fischspeeren und Reifennetzen in den Händen. Iwan Subitsch befand sich unter dem halben Dutzend Menschen, die als Beobachter mitgekommen waren. Von Gefährten geführt, deren Feenaugen im Dunkeln sehen konnten, waren sie vorangestolpert. Nun kniffen sie die Augen geblendet zusammen, als sich plötzlich das Mondlicht über sie ergoß.
»Dort ist er!« rief Vanimen. »Wir haben ihn schon gefunden. Ich dachte mir, daß es uns helfen würde, auf jede Flamme zu verzichten.« Iwan strengte die Augen an. »Ein Felsblock?« fragte er.
»Nein, seht genau hin, achtet auf diese glimmenden Augen.« Vanimen hob sein Messer und sagte etwas in seiner eigenen Sprache.
Die Wassermänner wateten hinaus. Mit Freudengebrüll und aufblitzenden Fangzähnen schlug der Vodianoi nach dem nächsten. Das flinke Geschöpf entschlüpfte ihm. Er jagte einen zweiten und hatte ebensowenig Erfolg.
Jetzt schwammen er und sie. Die Wassermänner kreisten ihn ein, höhnten, stachen ihn mit ihren Speeren. Der Vodianoi tauchte. Sie folgten ihm.
Eine Minute lang brodelte und spritzte das Wasser.
Stille trat ein, der See beruhigte sich wieder, der Himmel versank von neuem in seine eisigen Träume. Verloren klang die Stimme eines Soldaten auf: »Der Kampf findet in solcher Tiefe statt, daß wir ihn nicht sehen können.«
»Falls es ein Kampf ist«, antwortete ein Kamerad. »Das Ding ist unsterblich bis zum Jüngsten Gericht. Eisen verletzt es nicht. Welche Aussichten haben Eure Jäger, Herr, so zauberisch sie sein mögen?«
»Ihr Anführer hat mir von verschiedenen Maßnahmen berichtet, mit denen er es versuchen will«, antwortete Iwan. Er gehörte nicht zu jenen, die sich Untergebenen anvertrauten. »Welches die beste ist, muß er herausfinden.«
»Wenn das Ungeheuer nicht seine ganze Schar tötet«, meinte ein dritter Mann. »Was dann?«
»Dann müssen wir bis Tagesanbruch, wenn wir nach Hause finden können, hierbleiben«, stellte der Zhupan fest. »Das Monstrum kann uns an Land nicht fangen.«
»Es gibt andere Wesen, die es können.« Der zweite Soldat blickte ringsum. Mondstrahlen glänzten auf seinen Augenbällen und machten sie zu Spiegeln.
Iwan hob das Kreuz, das er um den Hals trug. Er hatte eine ausgehöhlte Stelle, die mit einem Kristall verschlossen war. »Hierin ist ein Fingerknochen des heiligen Martin«, sagte Iwan. »Betet wie gläubige Christen, und keine Macht der Dunkelheit kann uns schaden.«
»Euer Sohn Mihajlo hat anders gedacht«, wagte ein Soldat zu murmeln.
Der Zhupan hörte es und schlug ihm auf die Wange. Der Schlag rief ein Echo hervor. »Halt den Mund, du Esel!« Männer bekreuzigten sich in dem Glauben, daß Zwietracht Übel heraufbeschwöre.
Langsam verstrichen die Stunden. Die Kälte nahm zu. Die Wartenden erschauerten, stampften mit den Füßen, steckten die Hände in die Achselhöhlen. Ihr Atem dampfte. Etwas Weißes bewegte sich ruhelos im Wipfel einer großen Eiche, aber keiner legte Wert darauf, es sich genauer anzusehen.
Der Mond ging unter, als sich ein Aufschrei ihren Kehlen entrang.
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