Kinder des Wassermanns
fort.
So kühl ihre Berührung gewesen war, sie brannte lange in seinem Bewußtsein. Er stolperte weiter. Für ihn unsichtbar, sandte sie ihm Brisen, die ihm zufächelten.
Endlich konnte er nicht mehr. An einem dunkelbraunen, von Moospolstern umgebenen Tümpel hielt er an. Bäume drängten sich heran, hohe Eichen, schlanke Buchen, dunkler Wacholder. Sie schlossen den Himmel aus, sie bildeten ein grünes Dunkel, getupft mit Sonnenflekken. Schmetterlinge flatterten umher. Es war warm hier, die Luft schwer von Düften der Reife. Ein Eichhörnchen keckerte und sauste nach oben, dann war es verschwunden, und das mächtige Schweigen des Sommers herrschte wieder ungebrochen.
„Hallo-o!“ rief Tauno. „Du hast mir die Luft aus den Lungen gerannt.“ Bogengänge aus Blättern verschluckten seine Stimme. Er wischte den Schweiß ab, der ihm in die Augen stach und seine Lippen salzte, warf sich auf den Bauch und trank. Der Tümpel war kalt, das Wasser schmeckte nach Eisen.
Er hörte ein Kichern. „Du hast ein wohlgeformtes Hinterteil“, rief Nada. Er rollte sich auf den Rücken und sah sie auf einem Ast über ihm sitzen und mit den Beinen schlenkern. Wenn sie ins Licht gerieten, flammten sie golden auf, und dann verwandelten sie sich im Schatten wieder zu Weiß.
„Komm her, wenn du dich traust, und ich werde dir deins dafür versohlen“, forderte er sie heraus.
„Nein.“ Sie schnitt ihm ein Gesicht. „Das würdest du nicht tun. Ich kenne dich, du großer Schwindler. Ich weiß, was du wirklich tun würdest.“
„Was denn?“
„Nun, mich streicheln und liebkosen und küssen – was sowieso eine bessere Idee ist.“ Nada glitt mehr als sie sprang zur Erde. Brombeeren wuchsen unter dem Baum. Sie pflückte so viele, wie sie in ihren kleinen Händen fassen konnte, ehe sie sich neben Tauno kniete, der jetzt saß.
„Armer Liebster, du bist wirklich müde“, meinte sie. „Überall naß und bestimmt schwach in den Knien. Hier, ich will dich mit neuer Kraft füttern.“
Ihre eigene Haut war trocken, ihr Atem ging leicht, sie hätte sofort wieder davoneilen können. Sie schlief nicht, wenn er es tat, und sie nahm sich nichts von den Beeren, die sie ihm in den Mund steckte. Die Toten haben keine solchen Bedürfnisse.
„Sie waren köstlich, ich danke dir“, sagte er, als er alle gegessen hatte. „Aber wenn ich noch länger hier draußen bleiben will, brauche ich kräftigere Nahrung. Fisch aus dem See oder, wenn du mir suchen helfen willst, ein Reh.“
Sie zuckte zusammen. „Ich mag es nicht, wenn du tötest.“
„Ich muß.“
„Ja.“ Ihr Gesicht erhellte sich. „Wie der große schöne Luchs, der du bist.“
Sie strich mit ihren Fingern über ihn hin. Nun berührte er sie mit Liebkosungen, die überallhin wanderten. Fest zufassen konnte er nicht. Sie war zu unstofflich. Er fühlte gerundete Weichheit, die ihm willig entgegenkam, aber sie besaß keine Wärme, und er hatte immer den Eindruck von einer Zartheit wie Distelflaum.
Woraus sie bestand, wußte er nicht, und sie auch nicht. Die Gebeine von Nada, Tomislavs Tochter, ruhten auf einem Kirchhof in Schibe-nik. Ihre Seele wohnte in einem Bild dieses Körpers, geschaffen aus … Mondlicht und Wasser vielleicht. Es war eine milde Verdammung.
Trotzdem eine Verdammung, überlegte er: für ihn ebenso.
„Du tust dir selbst weh“, rief sie. „Oh, tu es nicht.“
Er riß den Blick von ihr los. „Verzeih mir“, sagte er mit rostiger Stimme. „Ich weiß, meine trübe Stimmung quält dich. Vielleicht solltest du umherlaufen, bis ich damit fertig geworden bin.“
„Und dich allein lassen?“ Sie rückte nahe an ihn heran. „Nein.“ Nach einer Weile: „Außerdem bin ich selbstsüchtig. Du nimmst mir meine Einsamkeit.“
„Die Schwierigkeit ist nur, daß … ich dich begehre … und zu spät gefunden habe.“
„Und ich begehre dich, Tauno, Geliebter.“
Welche Bedeutung hatte das für sie, fragte er sich. Sie war als Jungfrau gestorben. Natürlich hatte sie gewußt, wenn vielleicht auch nur, weil sie es bei Tieren gesehen hatte, was ein Mann mit einer Frau tut, aber hatte sie es jemals richtig verstanden? Danach war es nicht mehr ihre Art zu grübeln, sie war ein Geist des Waldes und des Wassers, ihr Herz bestand aus Luft. Welche Wünsche mochten sich in ihr regen? Hatte sie überhaupt welche?
Zumindest den Wunsch nach seiner Gesellschaft – hatte das ihn gefangengenommen, die Anbetung, die sie ihm von Anfang an gezollt hatte? Sie war so ganz und
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