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Kinder des Wassermanns

Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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glitzerndes, unstetes Feenreich. Es kommt nicht darauf an, daß die Menschen unsterbliche Seelen haben. Wir haben das immer für ein zu niedriges Entgelt dafür gehalten, daß sie ans Land gefesselt sind. Aber ich habe oft darüber nachgedacht …“ – seine freie Hand ballte sich zur Faust, in seinem Gesicht arbeitete es – „… was haben sie in diesem Leben, hier und jetzt, inmitten allen Elends, was können sie schauen, für das wir auf immer blind sind?“
     
    Stavanger im Süden Norwegens träumte unter einem abnehmenden Mond. Sein Licht baute eine unterbrochene Brücke über den Fjord, wo kleine Inseln dunkle Erhebungen bildeten, versilberte das Stroh und die Schindeln der Dächer, machte die Steine der Kathedrale weich und wurde in den Fenstern lebendig, und es verwandelte die Straßen unter den Galerien der Häuser in noch tiefere Abgründe der Schwärze. Es berührte die Galionsfigur und Masten der Schiffe am Kai …
    Auf dem Achterdeck eines bestimmten Schiffes fiel Kerzenlicht durch dünngeschabtes Horn. Das Schiff kam aus der Hansestadt Danzig und war einmastig wie eine Kogge, aber länger und schlanker, von der neuen Art, die man Hulk nannte. Am Tag hätte man sehen können, daß sein Rumpf eine leuchtend rote Beplattung mit weiß-gelber Trimmlinie hatte.
    Mondstrahlen tanzten über die verstohlen herbeischwimmenden Wassermänner. Sie empfanden keine Kälte, keine Furcht; sie waren auf Beute aus.
    Vanimen führte sie ans Ziel. Das Freibord lag höher, als er springen konnte, aber er war zuvor an Land gewesen und hatte gestohlen, was er brauchte. Ein Wurfhaken faßte mittschiffs die Reling. Von ihm baumelte eine Strickleiter, an der er emporkletterte.
    So leise er war, wurde der Wachtposten doch auf ein Geräusch aufmerksam. (Die Mannschaft besuchte die Kneipen und Bordelle.) Dieser Wachtposten nun kam mit Laterne und Pike vom Heck herunter. Grau fing sich das Mondlicht auf dem Stahl und den Streifen in seinem Bart. Er war kein junger Mann mehr, sondern dick und langsam. „Wer ist da?“ rief er auf deutsch, und als er sah, was da an Bord gekommen war, schrie er entsetzt: „O Jesus, hilf mir! Hilfe, Hilfe …“
    Sie durften nicht zulassen, daß er den ganzen Hafen zusammenschrie. Vanimen ergriff den Dreizack, den er an einer Schlinge auf dem Rücken trug, und stieß zu. Blut spritzte, der Wachtposten fiel auf das Deck. Er wand sich. „Johanna, Peter, Maria, Friedrich“, keuchte er – waren es die Namen seiner Frau und seiner Kinder? Er wandte die Augen Vanimen zu, hob halb die Hand. „Gott verfluche dich dafür“, stieß er hervor. „St. Michael, mein Namenspatron, Streiter des Herrn, räche …“
    Vanimen stieß nochmals zu und der Wachtposten verstummte. Wassermänner kletterten die Leiter hinauf. Sie achteten kaum auf die Worte des Sterbenden; niemand außer ihrem König verstand Deutsch. Vanimen blieb einen Augenblick stehen. Das Herz tat ihm weh. Dann warf er die Leiche über Bord und übernahm das Kommando auf dem Schiff.
    Es war keine leichte Aufgabe, denn seine Gefolgsleute waren völlig ahnungslos, was sie zu tun hatten. Ihr ungeschicktes Hantieren erzeugte Lärm, der bestimmt irgendwelche Ohren an Land erreichen mußte. Sie waren bereit zu kämpfen, wenn sie mußten. Aber es tauchten keine weiteren Menschen auf. Unklug war es, in der Nacht nachzusehen, was los war, wenn sich irgendein Aufruhr hören ließ, und falls es eine Bürgerwehr in Stavanger gab, so kam sie zweifellos zu dem Schluß, es gehe nichts Ungewöhnliches vor – vielleicht eine Rauferei unter Betrunkenen.
    Die Vertäuungen wurden losgeworfen. Das Segel entfaltete sich und füllte sich mit der Landbrise, deretwegen Vanimen bis zu dieser späten Stunde gewartet hatte. Für Feenaugen gab es genug Licht, um danach steuern zu können. Der Hulk stahl sich die Bucht hinunter. Als er an einer Insel vorbeikam, gingen die Meerfrauen und ihre Kinder an Bord.
    Bei Sonnenaufgang lag Norwegen weit hinter ihnen.

 
6
     
    Ingeborg Hjalmarstochter war eine Bewohnerin von Alsen und etwa dreißig Winter alt. Sie war früh Waise geworden und mit dem ersten jüngeren Sohn verheiratet worden, der sie hatte haben wollen. Als er mit dem Schiff, auf dem er arbeitete, unterging, machte kein anderer Mann ihr einen Antrag, denn sie hatte sich als unfruchtbar erwiesen, und er hatte ihr nichts hinterlassen. Die Gemeinde sorgte für ihre Armen, indem sie sie jeweils für ein Jahr an jeden vermietete, der sie nahm. Diese Haushaltsvorstände

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