Kinder des Wassermanns
allein vor und verlangte von ihm strengen Tones, die Wahrheit zu erfahren. Vater Knud war ein nachsichtiger Mann, in einer dieser winzigen Katen geboren, und er hatte lange Zeit ein Auge vor dem zugedrückt, was er für geringfügige Sünden hielt, die seiner Herde in ihrem harten Leben ein wenig Freude brachten. Aber nun war er alt und schwach geworden, und Magnus hatte die ganze Geschichte bald aus ihm herausgeholt.
Als der Profos nach Viborg zurückkehrte, lohte heiliges Feuer aus seinen Augen. Er ging zum Bischof und erklärte: „Mein Herr, bei meiner Runde durch Eure Diözese habe ich beklagenswert viele Zeichen von Teufelswerk gefunden. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, auf ihn selbst zu stoßen – oder, anders ausgedrückt, auf ein ganzes Nest der übelsten, gefährlichsten seiner Dämonen. Und das fand ich in dem Stranddorf Alsen.“
„Was meint Ihr?“ fragte der Bischof scharf, denn auch er fürchtete eine Rückkehr der alten Zaubergötter.
„Ich meine, daß sich vor der Küste eine Stadt des Seevolks befindet!“
Der Bischof entspannte sich. „Wie interessant“, meinte er. „Ich wußte gar nicht, daß in dänischen Gewässern noch welche übrig sind. Das sind keine Teufel, mein guter Magnus. Sie ermangeln der Seelen, ja, wie alle anderen Tiere auch. Aber sie bringen das Seelenheil der Menschen nicht in Gefahr, wie es zum Beispiel die Bewohner eines Elfenhügels tun können. Tatsächlich wollen sie nur selten etwas mit Adams Stamm zu tun haben.“
„Diese sind anders, mein Herr“, antwortete der Erzdiakon. „Hört zu, was ich erfahren habe. Vor zweiundzwanzig Jahren lebte in der Nähe von Alsen eine Jungfrau namens Agnete Einarstochter. Ihr Vater war ein Freisasse, nach Meinung seiner Nachbarn recht wohlhabend, und sie war sehr schön, und folglich hätte sie eine gute Heirat machen können. Aber eines Abends, als sie allein am Strand spazierenging, kam ein Wassermann ans Ufer und warb um sie. Er brachte sie dazu, mit ihm zu gehen, und sie lebte acht Jahre in Sünde und Gottlosigkeit unter dem Wasser.
Dann geschah es, daß sie ihr jüngstes Kind hinauf auf eine Schäre brachte, damit es Sonnenlicht trinken könne. Das war in Hörweite der Kirchenglocken, und während sie dasaß und die Wiege schaukelte, begannen sie zu läuten. Heimweh – wenn nicht Reue – erwachte in ihr. Sie ging zu dem Wassermann und bat ihn, ihr Urlaub zu geben, damit sie wieder einmal das Wort Gottes hören könne. Unwillig gab er seine Zustimmung und brachte sie ans Ufer. Doch vorher ließ er sie schwören, drei Dinge nicht zu tun: Ihr langes Haar nicht herabzulassen, als ob sie unverheiratet sei; sich nicht zu ihrer Mutter in den Kirchenstuhl der Familie zu setzen und sich nicht zu verneigen, wenn der Priester den Allerhöchsten nannte. Aber sie tat alle diese Dinge: das erste aus Stolz, das zweite aus Liebe, das dritte aus Ehrfurcht. Da nahm die göttliche Gnade ihr die Schuppen von den Augen, und sie blieb an Land.
Danach kam der Wassermann sie suchen. Es war wieder ein heiliger Tag, und er fand sie bei der Messe. Als er die Kirche betrat, drehten die Bilder und Statuen die Gesichter zur Wand. Keiner der Versammelten wagte es, die Hand gegen ihn zu erheben, er war so groß und stark. Er bat Agnete inständig, zu ihm zurückzukehren, und es hätte gut sein können, daß er sie zum zweiten Mal überredete. Denn diese Rasse ist nicht abstoßend und hat keine Fischschwänze, mein Herr. Abgesehen davon, daß sie breite Füße mit Schwimmhäuten und große, schräg stehende Augen haben und die Männer unter ihnen bartlos sind und einige grünes oder blaues Haar besitzen, sehen sie im großen und ganzen doch wie schöne Menschen aus. Seine eigenen Locken waren so golden wie ihre. Und er drohte ihr nicht, er sprach mit ihr voll Liebe und Kummer.
Doch Gott verlieh Agnete Kraft. Sie weigerte sich, mit ihm zu gehen, und er kehrte ins Meer zurück.
Ihr Vater verfügte über genug Klugheit und Geld für die Mitgift, daß er sie ins Inland verheiratete. Man sagt, sie sei nie wieder fröhlich gewesen, und es dauerte nicht mehr lange, da starb sie.“
„Wenn es ein christlicher Tod war“, warf der Bischof ein, „verstehe ich nicht, wieso ein bleibender Schaden angerichtet worden sein soll.“
„Aber das Seevolk ist immer noch da, mein Herr!“ rief der Profos. „Die Fischer sehen sie oft, wie sie sich lachend in den Wellen tummeln. Soll da ein Mensch, der sich mühsam das Nötigste zum Leben vedient, der in einer
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