Kinder erziehen - die 101 wichtigsten Fragen und Antworten
ungeheure Vorstellung. Manche fühlen sich schon elend, wenn sie ihr Kind festhalten müssen, damit ihm ein Arzt eine Spritze geben kann. Andere lassen ihr Kind tagelang im Unklaren, weil sie es nicht übers Herz bringen, ihm zu sagen, dass sein Meerschweinchen gestorben ist. Oder sie besorgen gleich ein neues. Für viele Eltern sind Kummer und Schmerz ihres Kindes schlimmer, als wenn ihnen selbst etwas weh tut. Doch selbst die einfühlsamsten Eltern können einem Kind nicht jeden Schmerz und jede Enttäuschung ersparen. Man macht unabsichtlich eine verletzende Bemerkung, zerrt sein Kind unsanft über die Straße oder mutet ihm auf einer Wanderung zu, weiterzulaufen, obwohl es Blasen an den Füßen hat. Man muss Kinder nicht in Watte packen. Aber es kommt darauf an, ihnen in schwierigen Situationen nahe zu bleiben. Auch im Schmerz findet ein wichtiger Individualisierungs- und Reifeprozess statt. Damit dieser gelingt, brauchen Kinder starke Eltern, die darauf vertrauen, dass sie den Schmerz aushalten können, und zuversichtlich sind, dass es bald wieder gut oder zumindest besser wird.
2 Sein Kind lieben, wie es ist – was heißt das?
Kinder sind bekanntlich keine Engel. Sie sind stur, impulsiv und gedankenlos. Sie lügen, stehlen und hauen andere Kinder. Sie enttäuschen ihre Eltern und sind undankbar. Nur ein Zen-Meister auf der höchsten Stufe der Erleuchtung wird dabei nichts anderes als grenzenlose Liebe, Offenheit und Güte empfinden.
Das wissen auch Psychologen. Sie empfehlen daher, nicht das Kind, sondern sein Verhalten zu bewerten, nicht zu denken (oder gar zu sagen): «Ich mag mein Kind nicht», sondern: «Ich mag nicht, wie sich mein Kind benimmt.» In Momenten, in denen man sehr aufgebracht ist, liebt man sein Kind auch nicht so sehr – ein Gefühl überlagert oft das andere. Doch Gefühle sind nichts Statisches. Lieben ist deshalb immer wieder möglich. Wenn man sich das bewusst macht, kommen die Gefühle in Fluss, und die Angst, man sei unfähig, sein Kind zu lieben, löst sich in Luft auf.
Wenn sich Eltern ihre mitunter ambivalenten Gefühle eingestehen, können sie besser erkennen, was zwischen ihrem Kind und ihnen selbst abläuft und was es braucht. Werden negative Gefühle dagegen tabuisiert, verdrängt oder verleugnet, haben sie die unangenehme Eigenschaft, an anderer Stelle aufzubrechen. Das zeigt sich in Überreaktionen auf eigentlich harmlose Ausrutscher, an einer unterschwellig feindseligen und überkritischen Haltung, mit der nur noch Fehler und Defizite gesehen werden.
Kinder wollen gar nicht die ganze Zeit nur geliebt werden, sie wollen, dass man sie sieht, dass man sich mit ihnen beschäftigt und ansonsten die Macken ihrer kleinen Persönlichkeit aushält. Mit Humor und freundlicher Nachsicht und durchaus auch mal mit einem «Geh mir kurz aus dem Weg, bevor ich platze.»
Alle Gefühle, auch die unaussprechlichen, sind normal und natürlich. Und wenn man die weniger guten mit den guten Gefühlen verbindet, wird dieses einzigartige Band geknüpft, das bekanntlich allen Stürmen standhält.
3 Was heißt Erziehung nach dem Stärkemodell?
Zunächst einmal: unbeirrbar zuversichtlich sein, bei allem, was ein Kind betrifft. Kinder sind widerstandsfähiger, belastbarer und lernfähiger, wenn zumindest ein Mensch in ihrer Umgebung fest an sie glaubt. Dann bewältigen sie sogar schwere Krisen.
Anders die Erziehung nach dem Defizitmodell: Schaut man ständig darauf, was ein Kind (noch) nicht kann, welche Fehler es macht und welche Schwierigkeiten es hat, untergräbt man die Entwicklung eines positiven Selbstbildes. Typisch für eine solche Erziehung ist auch das Überbehüten und Bevormunden.
Entwicklungspsychologen empfehlen positiv und zuversichtlich formulierte Kritik und die Konzentration darauf, was ein Kind schon kann. Wenn man Erfolge analysiert, bekommen Kinder ein Gespür und eine bessere Wahrnehmung der eigenen Leistungsfähigkeit. Werden überwiegend Niederlagen und Misserfolge diskutiert, können sich Kinder über Erfolge nicht mehr freuen oder schreiben diese dem Zufall oder Glück zu. Auf Dauer werden sie immer unsicherer und entwickeln eine pessimistische Weltsicht.
Erziehung nach dem Stärkemodell setzt auf Selbsttun. Die stärkste Motivation ist Autonomie. Die Frage ist also nicht, ‹Wie motiviere ich mein Kind?›, sondern: ‹Wie kann ich Umstände und Situationen herstellen, in denen mein Kind seinen angeborenen Drang, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, ausleben kann,
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