Kinder erziehen - die 101 wichtigsten Fragen und Antworten
Kind gleicht dem anderen, und jedes Kind braucht etwas anderes. Kinder selbst wollen in den Augen ihrer Eltern nicht gleich sein. Sie wollen unterschiedlich behandelt und unterschiedlich geliebt werden. Eltern können auch nicht unparteiisch sein. Wenn ein Kind vom großen Bruder über den Tisch gezogen wird, läuten sämtliche Alarmglocken, besonders wenn man als Kind etwas Ähnliches erlebt hat. Wer nicht gerade als Einzelkind aufgewachsen ist, wird bei Geschwisterstreitigkeiten oft die Rivalitäten, die Wut und den Schmerz aus der eigenen Kindheit noch einmal durchleben.
Es gibt auch immer wieder Zeiten, in denen Eltern und Kinder nicht so gut zusammenpassen. Das betrifft nicht nur die Pubertät. Schon wenn ein Kind phasenweise vor Vitalität überschäumt, können Eltern seine Wildheit als anstrengend und aggressiv erleben und sich innerlich mehr dem ruhigen größeren Bruder zuwenden. Glücklicherweise spielen Geschwister meistens abwechselnd die Rolle des schwarzen Schafs, und das eine Kind beendet eine schwierige Phase gerade dann, wenn sie beim anderen beginnt.
Mythos Nr. 4: Eltern sind selbstlos und aufopfernd. Das wäre natürlich praktisch, aber diese Idee haben Wirtschafts- und Familienpolitiker in die Welt gesetzt. Auch viele, gerade ältere Kinder glauben, dass Aufopferung, Selbstlosigkeit und unermüdliche Hilfsbereitschaft für Eltern die richtige Haltung sind. Für sich selbst nehmen Politiker ebenso wie Kinder lieber Abstand von diesen Idealen. Vor allem für Teenager scheinen sie nicht so attraktiv zu sein wie die Vorteile, die ein gesunder Egoismus mit sich bringt. Diese Einstellung sollten sich hin und wieder auchEltern zu Eigen machen. Denn «wer immer nur nach den anderen schaut, verliert sich selbst aus den Augen», wie der Dalai Lama sagt. Also, bitte kein schlechtes Gewissen, wenn man keine Lust mehr hat, bei jeder Kleinigkeit in die Bresche zu springen. Oder wenn man den dringenden und gesunden Wunsch verspürt, sich selbst und nicht seinem Kind etwas Gutes zu tun. Psychologen vermuten sicher nicht ganz zu Unrecht, dass sich hinter übertriebener Aufopferung in der Regel ein satter Egoismus verbirgt, wenn auch auf eine indirekte Art. Sie verpflichtet nämlich andere zu ewigem Dank. Das ist keine Grundlage für eine gute Beziehung, die immer auf einer ausgeglichenen Bilanz von Geben und Nehmen beruht. Es empfiehlt sich, zum Mythos Aufopferung den größtmöglichen Abstand zu wahren.
Mythos Nr. 5: Eltern sind geduldig und haben sich immer im Griff. Geduld ist zweifellos eine schätzenswerte Eigenschaft. Buddha hatte sicher Recht, wenn er sie als Vorteil für ein gesundes Leben empfahl. In der Bibel besitzt diese Eigenschaft allerdings nur Gott. Trotzdem wird Geduld Eltern in einem Maße abverlangt, das ihr Selbstwertgefühl untergraben kann. In der Realität reißt Eltern der Geduldsfaden erheblich öfter, als sie sich und anderen eingestehen. Sie drängeln und treiben ihr Kind an, sie kommandieren «du machst, was ich sage», statt zu erklären, was sie warum wollen. Und statt die Aktivitäten ihres Kindes mit nie erlahmender Aufmerksamkeit und freundlich interessierten Kommentaren zu verfolgen, sind sie genervt. Eigentlich würden sie lieber mit einem Buch und einem Campari in der Sonne sitzen. Das ist ziemlich normal, nur haben Eltern dabei ständig ein schlechtes Gewissen. Deshalb fallen auch die Mahnungen von Psychologen, ein Kontrollverlust habe die schlimmsten Auswirkungen, auf fruchtbaren Boden. Aber das ist Unsinn. Wenn sich Eltern gelegentlich (!) in einen Feuer speienden Vulkan verwandeln, so steht das keineswegs im Widerspruch zu der Liebe, Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die sie ihrem Kind entgegenbringen. Schuldgefühle kann man sich sparen. Und das umso mehr, als Kinder gelegentlich Schuldgefühlegeschickt zu nutzen wissen, um ihren Eltern zu entlocken, was sie vorher nicht rausrücken wollten.
Mythos Nr. 6: Eltern sind unersetzlich. Jede Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist einzigartig, und der Verlust eines oder gar beider Elternteile eine Tragödie. Trotzdem sind Eltern nicht unersetzlich. Das würde ja bedeuten, dass ein verlassenes, verwaistes oder vernachlässigtes Kind nie mehr mütterliche oder väterliche Zuwendung erfahren kann. Tatsache ist, dass sich Verwandte, Paten, Adoptiv- oder Kinderdorfeltern hingebungs- und liebevoll um ihre Kinder kümmern, manchmal sogar besser als die leiblichen Eltern. Früher war es in so gut wie allen Kulturen üblich, dass
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