Kinder erziehen - die 101 wichtigsten Fragen und Antworten
TÜV-geprüften Geräten, unter denen dicke Fallschutzmatten liegen. Eine hervorstehende Schraube, ein angefaulter Stamm, über den man so toll balancieren konnte – schon wird der Abenteuerspielplatz wegen Lebensgefahr geschlossen. Dabei verletzen sich weit mehr Kinder beim Sturz aus dem Bett als draußen beim Spielen. Ein Restrisiko muss bleiben, sonst ist es kein richtiges Spielen. Kinder müssen und wollen Gefahren und die eigenen Grenzen ausloten dürfen, und dazu gehören eben auch Schrammen, Beulen, vielleicht sogar mal ein Beinbruch. Der heilt viel schneller als eine Angststörung.
57 Warum brauchen Kinder Mutproben?
Kinder leben ihre Risikofreude auf den verschiedensten Gebieten aus. Das eine Kind klettert aufs Dach, das andere klaut im Supermarkt, das dritte setzt in der Schule alles auf eine Karte. (Es kann durchaus hilfreich sein, Schulprobleme auch mal aus dieser Perspektive zu betrachten.)
Vielleicht unterschätzen Eltern manchmal, wie viel Mutwillen bei solchen «Unternehmungen» dabei ist. Wie das Wort bereits verrät, braucht es für manche Dinge Mut und Willen. Zwei Charaktereigenschaften, die bei vielen Kindern eher etwas zu wenig ausgeprägt und vermutlich dem Besorgtheitswahn der Erwachsenen zum Opfer gefallen sind. Doch Kinder brauchen Abenteuer und Mutproben. Dringend. Können sie diese Sehnsucht nicht stillen, fehlt etwas Wesentliches: das Sich-selbst-erleben-und-mit-allen-Sinnen-spüren. Dieser Mangel erzeugt Lethargie und Langeweile, Missmut im wahrsten Sinne des Wortes. Und das wiederum kann ältere Kinder auf brandgefährliche Ideenbringen, wie zum Beispiel S-Bahn-Surfen. Das ist dann kein Abenteuer, sondern eine massive Selbstgefährdung, die auf eine schwere psychische Störung hinweist.
Zu einem richtigen Abenteuer gehört natürlich Herzklopfen, aber eines, das sich aufregend und gut anfühlt. Den Nervenkitzel, dass es schief gehen könnte, dass man sich wehtut oder erwischt wird, suchen Kinder auch ganz gezielt – mit selbst ausgedachten Mutproben. Die erfordern Eigeninitiative, geistige Beweglichkeit, Witz und Fantasie, körperliche Geschicklichkeit und Kraft. Dabei dürfen sie auch ruhig einmal an ihre Grenzen kommen. Das mögen Eltern beunruhigend finden, doch nichts zu wagen, sich immer ängstlich auf Nummer sicher zurückzuziehen, behindert Kinder nachhaltig bei der Entfaltung ihrer Fähigkeiten und nimmt ihnen ein großes Stück Lebensfreude. Risiken unter Aufsicht wie Klettern mit dreifach gesichertem Karabiner und Helm machen auch Spaß, sind aber kein Ersatz für echte Abenteuer.
Die meisten Kinder haben eine ganz gute Antenne dafür, was gefahrentechnisch gerade noch okay ist, vor allem wenn sie sich viel bewegen und draußen spielen, ohne dass immer ein Betreuer parat steht. Dann sind sie außerdem auch einigermaßen geschickt.
«Kamikaze-Kinder», die sich immer wieder ohne entsprechendes Können und ohne nachzudenken Risiken aussetzen, sollten so früh wie möglich schwimmen lernen und dann auch oft schwimmen gehen. Dann können sie sich relativ gefahrlos aus verschiedenen Höhen fallen lassen – ins Wasser. Wasser hat generell eine regulierende Wirkung auf motorisch sehr lebhafte Kinder.
58 Warum sollte man Kindern ihre Geheimnisse lassen?
Gute Eltern wissen angeblich immer, was ihr Kind gerade macht, was es fühlt und denkt. «Mein Kind hat kein Geheimnis vor mir. Es vertraut mir. Also gibt es keinen Grund, etwasVerbotenes zu tun und daraus ein Geheimnis machen zu müssen.» Aber Kinder brauchen Geheimnisse. Geheimnisse machen das Leben bunt und lebendig. Geheime Orte, geheime Wege, versteckte Schätze, geheime Zeichen, geheime Schriften, geheime Geschichten, geheime Botschaften, Spiele, Freundschaften – die Kinderwelt ist voller Geheimnisse. Ein Geheimnis mit jemand anderem zu teilen, anvertraut zu bekommen, nicht zu verraten – all das gehört zum glühenden Kern einer Kinderfreundschaft. Geheimnisse schenken das Gefühl von Freiheit, Mut und Stärke, selbst wenn, nein, weil damit Grenzen und Verbote überschritten werden. Geheimnisse ermöglichen Kindern, den Dingen selbständig auf den Grund zu gehen, selbstverantwortlich zu handeln, ihre Fähigkeiten einzuschätzen und dabei viel über sich und die Welt zu erfahren.
Nicht zufällig handeln viele Märchen davon, dass Held oder Heldin eigenmächtig eine verschlossene, geheimnisvolle Kammer oder Truhe öffnet oder in einem verbotenen Buch liest. Diese Überschreitung, auch Übergangsritual («rite de
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