Kinder
Sprechen Sie sie auf den Selbstmordversuch
an und auf den vergifteten Schüler! Konfrontieren Sie sie mit der Atmosphäre, die
sie in ihrem Unterricht geschaffen haben, mit diesem Klima von Angst und Druck – und mit unserem Verdacht, dass sie genau damit die beiden tragischen
Zwischenfälle verursacht oder zumindest begünstigt haben. Aber glauben Sie
nicht, dass wir locker lassen! Wir alle wollen, dass unsere Kinder an dieser
Schule eine gute Ausbildung bekommen, dass sie mit guten Chancen ins
Berufsleben starten, dass sie einen guten Abschluss machen können – aber wir
wollen das nicht um jeden Preis erreichen! Bitte machen Sie dem Ehepaar Moeller
deutlich, dass wir größte Bedenken wegen der Unterrichtsmethoden haben – und
dass wir das in den nächsten Tagen und Wochen sehr genau im Blick behalten
werden!«
»Natürlich, das werde ich den Kollegen alles so sagen.« Wehling
wirkte äußerlich unbeeindruckt, aber hinter der freundlichen und entspannten
Fassade suchte er fieberhaft nach einem Weg, der eine Konfrontation mit den Moellers
vermeiden konnte. »Mir ist ja selbst am meisten daran gelegen, dass wir hier an
der Schule auch weiterhin das harmonische Miteinander zwischen Eltern, Schülern
und Lehrern haben, mit dem wir seit vielen Jahren so gut fahren.«
Hässler verdrehte die Augen, weil er Wehlings Appell an das
»harmonische Miteinander« keineswegs zum ersten Mal hörte – aber allein mit
Aussitzen würde es diesmal nicht getan sein, das hatten die Elternvertreter
klargemacht.
Am nächsten Morgen flitzte Lukas, der erst in der zweiten
Stunde Unterricht hatte und deshalb in einem ziemlich spärlich gefüllten Bus
angekommen war, quer über den Schulhof, noch bevor der am alten Baum schon auf
ihn wartende Marius reagieren konnte. Lukas sah noch kurz zu ihm, Hype und
Benjamin – da stolperte er auch schon über ein Bein und fiel direkt vor der
Eingangstür der Länge nach hin.
Claas kam zu ihm und grinste hämisch auf ihn hinunter. Gerade wollte
er mit dem rechten Fuß ausholen, da fuhr Hannes Strobel mit seinem knallroten
Flitzer auf den Lehrerparkplatz.
»Glück gehabt, du Loser!«, zischte Claas noch und ging zu seinen
Freunden hinüber.
Lukas rappelte sich auf, klopfte sich den Staub von der Hose und
beeilte sich, ins Gebäude zu kommen. Als er die Treppe erreicht hatte, ging
hinter ihm die Tür. Erschrocken drehte er sich um, aber es war nur Strobel, der
mit federnden Schritten den Flur entlangeilte.
Rosemarie Moeller betrat das Büro des Rektors, dicht
gefolgt von ihrem Mann.
Rektor Wehling erhob sich aus seinem Sessel, wies beflissen auf zwei
freie Stühle vor seinem Schreibtisch und setzte sich erst wieder, als seine
beiden Gäste Platz genommen hatten.
»Frau Moeller, Herr Moeller«, er nickte beiden zu und hoffte, mit
seinem betont höflichen Auftritt seine Unsicherheit überspielen zu können, »ich
habe Sie heute zu mir gebeten, weil … nun ja: Eltern haben sich beschwert.«
Rosemarie Moeller sah kurz zu ihrem Mann hinüber und lehnte sich
dann in ihrem Stuhl zurück – offensichtlich wollte sie ihm das Reden
überlassen.
»Und einige Eltern bringen den Selbstmordversuch eines Ihrer
Schüler, Herr Moeller, damit in Verbindung, dass Sie den Schüler mehrfach vor
seiner ganzen Klasse … ungewöhnlich stark kritisiert haben sollen.«
»Herr Wehling«, begann Franz Moeller nach einer kurzen Pause,
»niemandem geht der Selbstmordversuch von Sören Karrer näher als uns beiden,
das müssen Sie uns glauben. Mir macht das besonders zu schaffen, da Sören mit
mir als seinem Lehrer … sagen wir mal: nicht besonders gut zurechtkam.«
»Sie haben ihn vor der Klasse demontiert«, sagte Wehling schnell. Er
hatte das Gefühl, unerwartet Oberwasser zu bekommen, und wollte die Chance
nicht ungenutzt verstreichen lassen.
»Also bitte …«, begehrte Franz Moeller auf, blieb aber versöhnlich
in seinem Ton. »Wir, also meine Frau und ich, sind der Überzeugung, dass es
ohne ein Mindestmaß an Disziplin und Engagement auch von Seiten der Schüler
nicht geht – und daran hat es Herr Karrer leider allzu deutlich fehlen lassen.
Sind Sie der Meinung, dass ich das einfach tolerieren sollte?«
Wehling sah sich zwei fragenden Gesichtern gegenüber, die
Augenbrauen erhoben, die Stirne gerunzelt – das Gespräch würde wohl doch so
schwierig werden, wie er befürchtet hatte.
»Natürlich nicht, aber …«
»Sehen Sie! Es wird immer Schüler geben, die den einen Lehrer mehr
und dann eben auch
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