Kinder
dann verabschiedeten
sich alle voneinander.
Zunächst sollten weitere Erklärungen mit diesem oder einem ähnlichen
Text auch von anderen Klassen des Gymnasiums bei der Schulleitung eingehen, die
Elterntreffen dazu fanden am selben Abend und an den beiden folgenden statt.
Das Gespräch mit dem Rektor sollte gesucht, der Vertrauenslehrer und die
Schülervertretung sollten eingebunden werden und schließlich sollten im
Idealfall die beiden neuen Lehrer Rosemarie und Franz Moeller die Schule wieder
verlassen.
Karin Knaup-Clement hatte die Vorfälle zu Beginn des Abends für alle
noch einmal zusammengefasst. Die Empörung war spürbar und wurde reihum
lautstark geäußert, auch der Zuspruch war gut gewesen: Fast drei Viertel aller
Familien waren vertreten – das konnte sich sehen lassen.
Wie die anderen Eltern fuhren auch Annette und Rainer Pietsch guter
Dinge nach Hause. Bei einem Glas Wein im Wohnzimmer redeten sie noch
optimistisch über den weiteren Fortgang der Angelegenheit. Und ins Bett gingen
sie mit der Gewissheit, dass die Eltern, wenn sie alle an einem Strang zogen,
das Nötige bewegen und dem Lehrerpaar Moeller über kurz oder lang das Handwerk
legen konnten.
Die faltige rechte Hand lenkte den
Rollstuhl geschickt in den großen Konferenzraum. Die linke Hand ruhte auf einem
Papierstapel, der auf der weichen Wolldecke auf seinem Schoß lag. Als ihn die
Ersten bemerkten, erhoben sie sich von ihren Stühlen und begannen zu
applaudieren. Immer mehr standen auf, der Beifall schwoll an und wollte nicht
enden. Als der Rollstuhl schließlich neben dem hohen Pult aus dunklem Holz zum
Stehen kam, hob der Mann kurz die rechte Hand, und fast augenblicklich erstarb
jedes Geräusch im Raum. Er nickte dankend in die Runde, und alle setzten sich
wieder.
» Liebe Freunde « , begann
der alte Mann, und seine überraschend volle, wenn auch mit den Jahren rauer gewordene
Stimme füllte den Raum scheinbar mühelos aus. Der Mann lächelte ein wenig: Der
Tontechniker hatte ganze Arbeit geleistet – das
Knopfmikrofon an seinem Revers war nicht einmal aus der ersten Sitzreihe zu
sehen, und die Lautsprecherboxen waren gerade so laut eingestellt, dass die
Stimme überall klar und deutlich zu vernehmen war, sie aber doch noch nicht wie
verstärkt wirkte.
» Es ist immer wieder ein Genuss, euch alle hier
vor mir zu sehen, engagiert und flammend wie seit Jahren. Wir werden auch
diesmal wieder von einigen unter uns erfahren, wo unsere Überzeugung besonders
nachhaltig gewirkt oder welche neuen Methoden sich für unsere Ziele als
besonders geeignet erwiesen haben. Würde ich euch eine Power-Point-Präsentation
zumuten, würde auf der passenden Folie vermutlich ›Best Practice ‹ stehen. «
Er sah schmunzelnd in die Runde, wohlmeinendes
Gelächter kam aus den Reihen vor ihm. Sein Publikum und er waren eingespielt,
seit Jahren. Und das war auch nötig, denn sie hatten sich viel vorgenommen.
» Noch « , fuhr er fort, » noch müssen wir uns bedeckt halten, müssen uns in Hotels wie
diesem treffen, während all die Weicheier, deren Fehler wir zu beseitigen
versuchen, sich auf der Didacta wichtig machen dürfen. «
Allgemeines Gelächter brandete auf, die führende
deutsche Bildungsmesse, auf der alljährlich mehrere hundert Aussteller
pädagogische Themen und Materialien vom Kindergarten bis zur Hochschule
präsentierten, stand bei den hier Anwesenden nicht sehr hoch im Kurs.
» Aber unsere Arbeit trägt inzwischen immer mehr
Früchte, wir haben eine Entwicklung angestoßen, die nicht mehr aufzuhalten ist – und irgendwann werden auch die letzten Zweifler einsehen, dass
wir tatsächlich die Lösung für viele Probleme unserer Gesellschaft anzubieten
haben! «
Der hagere Körper richtete sich mal im Rollstuhl
auf, mal sank er zurück auf die Lehne, die Hände malten eindrucksvoll Gesten in
die Luft, und der alte Mann fesselte seine Zuhörer zudem mit seiner klug
inszenierten Rede. Zwischendurch fixierte er immer wieder einzelne Männer und Frauen
im Publikum, und als er ein Paar in der zweiten Reihe ansah, huschte ein
Schatten über sein Gesicht. Er machte eine kurze Pause, die außer den beiden
niemandem auffiel – und nickte ihnen kaum merklich
mit ernster Miene zu.
Die beiden hatten verstanden und folgten ihm nach
der Rede unauffällig nach draußen.
Kapitel drei
Im Rektorat war es eng. Johannes Wehling hatte zusätzliche
Stühle herbeischaffen lassen, nun saßen sie um seinen Schreibtisch herum dicht
an dicht: einige
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