Kinderfrei
einander. Anstatt den Menschen weiterhin ungerechtfertigt Angst vor einer vergreisenden Gesellschaft oder dem baldigen Aussterben der Deutschen zu machen und Junge gegen Alte, Kinderfreie gegen Eltern aufzuhetzen, gilt es, ein Bewusstsein für die Unvermeidlichkeit und die Vorteile einer älteren Gesellschaft zu schaffen.
Dazu muss die rückwärtsgewandte Fixierung auf eine Geburtenförderung aufgegeben werden, denn diese bindet Mittel und, schlimmer noch, Kräfte, die besser in die Herausforderungen der Zukunft investiert würden. Zum Beispiel in der Rentenpolitik. Anstatt Zeit und Energie auf eine Strategie zu verschwenden, die zum Scheitern verurteilt ist, weil sie auf der unmöglich zu erfüllenden Voraussetzung eines ständigen Bevölkerungswachstums beruht, sollte sich die Politik auf konstruktive Lösungen konzentrieren, die eine Anpassung an die veränderten Umstände ermöglichen. Also, ich werde nicht müde, es gebetsmühlenartig zu wiederholen: Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze; Aufnahme von Freiberuflern, Selbstständigen und Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung; Einbeziehung anderer Einkunftsarten wie Miet- und Kapitaleinkünfte; sowie Bemühungen zur Erhöhung der Erwerbstätigenquote. Insbesondere müssen die Vorurteile gegenüber älteren Arbeitnehmern abgebaut werden, die sich darin spiegeln, dass die Erwerbstätigenquote in der Gruppe der 55- bis 65-Jährigen nur bei 55,9% liegt. Auch die Subventionierung der privaten Altersvorsorge gehört auf den Prüfstand. Seit 2002 fördert der Staat die private Altersvorsorge mit finanziellen Zuschüssen (Riester-Zulagen) und mit zusätzlichen Steuerersparnissen (zusätzlicher Sonderausgabenabzug). Die dadurch verursachten Steuermindereinnahmen machten bis einschließlich 2009 340,6 Millionen aus. Insgesamt kostete die Förderung den Staat im gleichen Zeitraum 6,42 Milliarden Euro. 129
› Hinweis
Doch es geht bei Weitem nicht nur um die Renten. Aufgrund des absehbaren Endes fossiler Energien und mehr noch wegen der Notwendigkeit, Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren, steht Deutschland ein gewaltiger Strukturwandel bevor, der einen Umstieg auf erneuerbare Energien und ökologische Landwirtschaft sowie verkehrsplanerische und städtebauliche Maßnahmen für kompaktere Siedlungen und kurze Wege erfordert. Es kann nicht so getan werden, als seien diese Herausforderungen mit einer kleineren Bevölkerung nicht wesentlich leichter zu bewältigen, und das bedeutet zugleich, dass sich auch die Familienpolitik am Ziel ökologischer Nachhaltigkeit ausrichten muss. Das ist leichter, als man denkt. Denn glücklicherweise wächst die deutsche Bevölkerung nicht mehr, sondern entwickelt sich bereits rückläufig. Damit befinden wir uns in einer wesentlich besseren Ausgangsposition als Länder wie Großbritannien und die USA, die sich mit dem Problem einer steigenden Bevölkerungszahl konfrontiert sehen. Auch sind in Deutschland Familien mit einem Kind oder zwei Kindern eher die Norm als die Ausnahme, sodass nicht gegen einen Trend angegangen, sondern dieser nur ermutigt und verstärkt werden muss. Hier könnte die Politik durchaus Zeichen setzen, etwa im Steuerrecht. Es wäre aber auch schon ein echter Fortschritt, wenn man aufhören würde, auf die niedrige Geburtenrate zu starren wie ein Kaninchen auf die Schlange und ständig mit neuen Vorschlägen aufzuwarten, wie man die deutschen Frauen in die Kreißsäle bekommt. 130
› Hinweis
Um einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel herbeizuführen, ist Aufklärung natürlich das A und O. Es muss klar werden, dass Entscheidung über die Anzahl der Kinder, die jemand in die Welt setzt, mitnichten privater Natur ist, sondern Natur und Mensch auf der ganzen Welt beeinflusst. Es muss sich die Erkenntnis verbreiten, dass sich die ökologischen Probleme auch durch die besten Technologien und innovativsten Ideen nicht lösen lassen, ohne den Faktor der Bevölkerungsgröße zu berücksichtigen. Insbesondere die Naturschutzorganisationen sollten zu diesem Thema nicht länger schweigen. Lassen Sie mich dazu noch eine 2009 in dem Fachmagazin Global Environmental Change veröffentlichte Studie heranziehen, welche die Zusammenhänge zwischen Fortpflanzung und lebenslangem CO2-Fußabdruck des Einzelnen für mehrere Länder untersucht hat. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die CO2-Emissionen der Nachfahren einer Person (Kinder, Enkel etc.), gewichtet nach dem Verwandtschaftsgrad, den lebenslangen
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