Kindersucher
zwar zweihundertvierundvierzig Mal. Außerdem wusste er immer noch nicht, was zum Teufel diese Turm-Laboratorien waren oder was sie mit all diesen Jungen gemacht hatten.
Er ging an mehreren gewaltigen pneumatischen Rammen vorbei, die Montag ihre hämmernde Arbeit wieder aufnehmen würden, und sein Kopf schmerzte vor Enttäuschung. Aber eine riesige Baggerschaufel, die halb in der Erde vergraben war, schien ihm ermutigend zuzurufen: Grab einfach weiter!
Von dem Moment an, als er den Namen zum ersten Mal in Axels Kontobuch gesehen hatte, hatten Gunther und er versucht, die Turm-Laboratorien zu finden. Aber auf den gesamten 883 Quadratkilometern Grundfläche von Berlin gab es nur eine einzige Firma dieses Namens, und die befand sich im Erdgeschoss unter zehnstöckigen Gastürmen. Es war eine Firma in Treptow, die alles herstellte, angefangen von Bechern und Flaschen bis hin zu Agar-Agar-Schalen. Aber an der Firma Turmlaboratorien-Glaswaren war nichts Anrüchiges.
Danach hatten sie begonnen, jedes eingetragene Labor in der Stadt zu durchsuchen. Von A bis Z, private Labors, Krankenhauslabors, Universitätslabors, ja selbst die Labors im Gesundheitsministerium.
Vor zwei Tagen war Kraus endlich über etwas gestolpert. In einem Lagerhaus am Landwehrkanal befand sich die Firma Turmspielzeuge, die als einer der größten Hersteller von Elektronik in Deutschland aufgeführt war. Die Laborunterlagen von Siemens zeigten, dass diese angebliche Spielzeugfirma sechs Jahre zuvor, 1924, einen speziell angefertigten, komplexen Apparat zur Destillation von Chemikalien bestellt hatte. Die Techniker wussten sehr genau, dass man diesen Apparat nie und nimmer für die Fabrikation von Spielzeug benutzen konnte. Siemens hatte das zwar der Berliner Polizei gemeldet, aber es war nichts unternommen worden. Kraus fand schon sehr bald heraus, dass dieselbe Spielzeugfirma auch in den Büchern einer größeren pharmazeutischen Firma auftauchte, die ebenfalls seit 1924 an den Sitz dieser Spielzeugfirma am Maybachufer 146 regelmäßig größere Mengen einer Substanz namens Hydrochloridsalz lieferte, die ganz eindeutig ebenfalls kein Kinderspielzeug war. Und erst letzte Nacht war Gunther zurückgekehrt, nachdem er die Adresse zwei Tage lang beobachtet hatte, um zu berichten, dass zwei schwarze Lastwagen zum Hintereingangdes Lagerhauses gefahren waren. Keiner von beiden hatte Nummernschilder. Schwarze Lastwagen ohne Nummernschilder?
Und in ihnen hatten ... schwer bewaffnete Männer gesessen.
Im wenigen Tagen, redete Kraus sich ein, während er sich auf das lange, gebogene Dach der S-Bahn-Station vor ihm konzentrierte, würde er in der Lage sein, gegen die Firma Turmspielzeuge vorzugehen. Jetzt jedoch musste er erst einmal ausruhen. Er fühlte sich wie betäubt. In vierzig Minuten würde er ein Schläfchen halten, falls er nicht schon im Zug einschlief und in Potsdam landete.
Aber es war Vicki, die ein Schläfchen hielt, als er nach Hause kam. Sie lag zugedeckt und quer im Bett. Er hatte nicht das Herz, sie zu wecken. Das Radio im Kinderzimmer war angeschaltet, und eine Sekunde lang blieb er im Flur stehen und überlegte, ob er sich einen Whisky einschenken oder ein nettes heißes Bad einlaufen lassen sollte. Dann klingelte es an der Tür. Als er öffnete, war er mehr als überrascht, Irmgard Winkelmann dort stehen zu sehen. Sie kauerte förmlich vor seiner Tür, und ihr Gesicht war wie versteinert.
»Ist Heinz bei euch?«, zischte sie durch weiße, zusammengepresste Lippen.
»Heinz? Du selbst hast ihm doch den Besuch bei uns verboten.«
»Der Junge kann sehr dickköpfig sein. Ich kann ihn nicht finden. Er ist weder in seinem Zimmer noch unten im Hof. Ich dachte, ihr hättet ihm vielleicht erlaubt, euch zu besuchen.«
»Das glaube ich eher nicht. Vicki schläft, und ich bin gerade erst nach Hause gekommen.«
»Wo sind deine Jungs? Darf ich mit ihnen reden?«
Kraus erwartete, dass sie hereinkam, aber sie blieb einfach draußen vor der Tür stehen.
»Könntest du sie für mich holen, bitte?«
Im Kinderzimmer war jedoch nur Stefan, der mit dem Flugzeug des Roten Barons spielte.
»Hallo, Stefan, wie geht’s? Wo ist Erich?«
Stefan sah ihn mit seinen großen braunen Augen an und blinzelte. »Ich weiß nicht.«
Kraus spürte einen kleinen Stich, vermutete jedoch, dass Vicki es wusste. Vielleicht war er zum Abendessen zu einem Freund gegangen; manchmal machte er das. Doch als er Vicki weckte, wurde sie bleicher als das Laken. »Er sollte
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