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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Messer in der Hand hielt, das auf seinen Unterleib zielte. Kraus brach unter seinem Anzug der kalte Schweiß aus. Es war nicht unmöglich, diese Bestie zu entwaffnen, möglicherweise jedenfalls. Im Krieg hatte er in einer Eliteeinheit gedient, hatte hinter den feindlichen Linien operiert, die beste Nahkampfausbildung erhalten und wusste sie auch einzusetzen. Aber Kraus bemerkte aus den Winkeln seiner sehr gut ausgebildeten Augen weitere blitzende Messer in der Menge. Natürlich war es sein Fehler ... Wieso war er auch alleine an einen solchen Ort gegangen? Ja, wenn er einen Assistenten hätte, wie die Vorschriften es verlangten ... Aber seine Vorgesetzten schienen niemanden finden zu können, der bereit war, mit ihm zu arbeiten. Jedenfalls behaupteten sie das.
    »Ich, ihn belästigen? Ganz und gar nicht. Ich bin ein Besucher aus Hamburg.« Er kratzte sämtliche Liebenswürdigkeit zusammen, die er aufbringen konnte. »Ein Geschäftsmann.« Er tippte sich an den Hut. Das Letzte, was er für Stefan und Erich wollte, war, dass sie wie er ohne Vater aufwuchsen. »Sind Sie schon einmal in Hamburg gewesen?« Er lächelte und stellte sich vor, wie er in Scheiben geschnitten in einem dieser Fässer landete. »Dort haben wir auch wunderschöne Märkte. Aber längst nicht so groß wie die von Berlin. Hier ist alles so viel größer. Tut mir leid, ich wollte wirklich niemanden belästigen.« Er warf ein Fünfmarkstück in die Luft, das der Junge sofort auffing. »Kauf dir eine schöne warme Suppe und deinem Freund auch eine.«
    Kraus ging langsam hinaus, erleichtert, dass er all seine Eingeweide noch am richtigen Platz hatte, und warf dabei einen Blick auf den Schläger mit dem Messer. Mein Gott! Er war so groß wie ein Ochse. Und wirkte auch genauso kräftig. Er hatte die dicksten Arme, die Kraus jemals gesehen hatte. Manchmal, dachte er, als er die Straße erreichte hatte und erleichtert seufzte, rechnete es sich eben, einfach nur zu zahlen.

FÜNF

    Die Glastüren drehten sich unaufhörlich, aber immer noch tauchte kein Fritz auf. Nicht, dass er jemals pünktlich gekommen wäre. Aber für einen Mann, der ständig versuchte, einem zurückzuzahlen, was man für ihn in der Vergangenheit getan hatte – ihm zum Beispiel drei oder viermal das Leben zu retten –, sollte man wenigstens erwarten, dass er sich um ein wenig Pünktlichkeit bemühte. Kraus warf einen Blick auf seine Uhr. Zum Teufel, was sollte die Eile? Er holte tief Luft und sah sich in dem glanzvollen Café Josty um. Das Einzige, was heute auf der Tagesordnung stand, war ... gar nichts.
    Seit seinem Besuch in der Wurstfabrik war fast ein Monat verstrichen, und die Gesundheitsinspektoren untersuchten immer noch die Lieferanten im Viehhof. Sie prüften und prüften, hatten aber bis jetzt absolut nichts gefunden. Auf Kraus’ Drängen hin hatten sie eine Razzia auf dem Markt der freien Händler in der Landsberger Allee gemacht, die Waren untersucht und den Markt anschließend geschlossen. Aber von Listerien keine Spur. Zum Glück hatte es wenigstens keine neuen Todesfälle gegeben, und die Zahl der Erkrankungen ging ebenfalls zurück. Vielleicht verlief die ganze Angelegenheit ja im Sande.
    Kraus bedankte sich beim Kellner, als der ihm sein zweites Kännchen Kaffee brachte. Wenigstens hatte er mit Horthstaler geredet. Und ihm von seiner gefährlichen Begegnung auf dem Markt der freien Händler berichtet, die möglicherweise hätte verhindert werden können, wenn er einen Kollegen dabei gehabt hätte, wie es Vorschrift war. »Ich wusste nicht, dass Ihnen das so wichtig ist, Kraus; ich werde mir noch mehr Mühe geben, jemanden für Sie zu finden.« Der Kommissar hatte ihn freundlich angelächelt. Aber das kurze Zucken seiner vollen Lippen hatte Kraus klargemacht, dass er sich nicht zu viel davon versprechen sollte.
    Er war es müde zu warten. Er hatte die Bakterien satt, und auch Dr. Riegler, die ihm ständig erzählte, dass ihr kleines Kätzchen zu Hause seine Lieblingswurst vermisste. Er hatte den ganzen verdammten Fall satt. Dann hob er den Blick zu der verzierten Decke aus gepresstem Blech. Immer wieder schweiften seine Gedanken zurück zu diesem Knochensack. Irgendwann hatte er spät nachts wach gelegen und sich gefragt, was jemanden dazu bewegen konnte, ein solches Knochenarrangement anzufertigen. Ein heidnischer Ritus? Oder irgendein okkultes Sakrament? In Berlin herrschte kein Mangel an bizarren Fixierungen. Andererseits war da ja noch die Bibel. Kraus hatte sogar

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