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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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weiteres ihr Schlafzimmer auf dem Dachboden eingerichtet.
    Auf die rote Wand hatte sie mit Hilfe einer Schablone in großen Silberlettern gepinselt: „Baustelle, Betreten verboten“. Auf ihrem T-Shirt prangte die Devise: „I LOVE ME“. Ihre kleinen Brüste schimmerten hindurch. Der Mann stieg mit schweren Schritten die Sprossen der Leiter hinunter, die steil war wie auf einem Schiff war. Sie hielt ihm einen dampfenden Espresso hin und biss in einen angeschnittenen, braun angelaufenen Apfel, den sie von der Arbeitsplatte nahm. Dann verschwand sie im Bad. Fünf Minuten später ging sie in den „begehbaren Kleiderschrank“. All ihre Klamotten hingen vorübergehend unter durchsichtigen dünnen Schutzhüllen an langen metallischen Kleiderständern; ihre Dessous und T-Shirts waren in Schubladenschränken aus Plastik verstaut, und ihre Dutzenden von Stiefelpaaren standen nebeneinander an der Wand.
    Sie schlüpfte in eine Jeans mit Löchern an den Knien, Stiefeletten mit flachen Absätzen, ein frisches T-Shirt und einen mit Nägeln beschlagenen Gürtel. Dann kam das Holster mit ihrer Dienstwaffe. Und ein Armeeparka als Regenschutz.
    „Du bist noch da?“, sagte sie, als sie in die Küche zurückkam.
    Der beleibte Mann in den Fünfzigern wischte sich die Marmelade von den Lippen. Er zog Samira an sich und küsste sie, während er ihr seine fleischigen Hände auf den Hintern legte. Sie ließ es einen Moment geschehen, ehe sie aus sich seiner Umklammerung befreite.
    „Wann kümmerst du dich um meine Dusche?“
    „Dieses Wochende geht‘s nicht. Meine Frau kommt von ihrer Schwester zurück.“
    „Finde einen Tag. Noch diese Woche.“
    „Mein Terminkalender ist voll“, protestierte er.
    „Keine Dusche, kein Fick“, drohte sie.
    Der Mann runzelte die Stirn.
    „Vielleicht Mittwochnachmittag. Mal sehen.“
    „Die Schlüssel liegen da, wo sie immer sind.“
    Sie wollte gerade noch etwas hinzufügen, als irgendwo eine Mischung aus E-Gitarren-Riffs und Horrorfilm-Schreien ertönte. Die ersten Takte eines Stücks von Agoraphobic Nosebleed, einer amerikanischen Grindcore -Band. Als sie ihr Handy schließlich fand, war das laute Gebrüll bereits verstummt. Sie betrachtete die angezeigte Nummer: Vincent. Sie wollte ihn gerade zurückrufen, als das Handy vibrierte. Eine SMS:
    Ruf mich an.
    Das tat sie umgehend.
    „Was ist los?“
    „Wo bist du?“, fragte er, ohne zu antworten.
    „Zuhause, ich wollte gerade aufbrechen. Ich hab heute Abend Bereitschaftsdienst.“ An einem solchen Abend hatten sich natürlich alle Männer in der Mordkommission nach Möglichkeit krankgemeldet. „Und du, schaust du nicht das Spiel an?“
    „Wir haben einen Anruf bekommen …“
    Ein Notfall. Bestimmt der Dienst habende Staatsanwalt. Pech für die Fußballfans. Auch im Justizpalast liefen sicher die Fernseher heiß. Sie selbst hatte für den Abend nur mit Mühe einen Liebhaber auftreiben können - ganz offensichtlich hatte heute der Fußball dem Sex den Rang abgelaufen.
    „Der Staatsanwalt hat angerufen?“, fragte sie. „Worum geht´s?“
    „Nein, nicht der Staatsanwalt.“
    „Ach nein?“
    In Espérandieus Stimme lag eine ungewohnte Anspannung.
    „Ich erklär‘s dir. Du brauchst nicht ins Präsidium zu fahren. Steig ins Auto und komm direkt zu uns. Hast du was zu schreiben?“
    Ohne ihren Gast, der neben ihr allmählich ungeduldig wurde, weiter zu beachten, zog sie eine Küchenschublade auf und fischte einen Kugelschreiber und ein Post-it heraus.
    „Warte … Ja, bin soweit.“
    „Ich geb dir die Adresse durch, und du stößt dort zu uns.“
    „Ich höre.“
    Sie zog eine Braue hoch, als sie die Adresse notierte, obwohl er sie nicht sehen konnte.
    „Marsac? Das ist ja echt j.w.d. … Wer hat euch angerufen, Vincent?“
    „Ich werd´s dir erklären. Wir sind schon unterwegs. Komm so schnell wie möglich.“
    Hinter dem Fenster leuchtete ein Blitz auf.
    „Wir? Wer ist wir? “
    „Martin und ich.“
    „Alles klar. Ich beeil mich.“
    Sie legte auf. Irgendetwas stimmte nicht.

3
     
    Marsac
    Der Regen trommelte ohne Unterlass auf das Autodach. Er tanzte in den Lichtkegeln der Scheinwerfer, ergoss sich auf die Windschutzscheibe und die Straße, jagte die Wildtiere in ihre Bauten und schnitt die wenigen Fahrzeuge voneinander ab. Wie ein Heer im Eroberungsfeldzug war er von Westen aufgezogen. Erst hatte die Vorhut ihn mit heftigen Windstößen und grellen Blitzen angekündigt, dann war er über Wälder und Straßen hergefallen. Kein

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