Kindheit bei Scientology: Verboten (German Edition)
Szene mitverfolgt und wird über sie einen »Wissensbericht« schreiben. Und was das bedeutet, ist ihr klar: die Rechtfertigung ihres Verhaltens in der Organisation.
Warum nur, so fragt sich Edwins Mutter immer wieder, kann ihre eigene Mutter nicht begreifen, was für sie seit Jahren Gewissheit ist:
»Kinder sind nicht Hunde. Sie können nicht wie Hunde dressiert werden. Sie sind nicht kontrollierbare Dinge. Sie sind, lassen Sie uns diesen Punkt nicht übersehen, Männer und Frauen. Ein Kind ist nicht eine spezielle Tierart, die sich vom Menschen unterscheidet. Ein Kind ist ein Mann oder eine Frau, der bzw. die nicht voll ausgewachsen ist. Jedes Gesetz, das auf das Verhalten von Männern und Frauen zutrifft, gilt für Kinder.
(Hubbard, Lafayette Ronald: Kinder-Dianetik, Kopenhagen 1983, S. 2)
Die Frage aller Fragen: Wo bist du jetzt?
»Es ist möglich, ein Kind jeder Altersstufe, nachdem es sprechen gelernt hat, zu auditieren.«
(Hubbard, Lafayette Ronald: Kinder-Dianetik, Kopenhagen 1983, S. 67)
Nach diesem Satz zum Thema Kinder wird allen klar, die jemals das »Hubbard-E-Meter« gesehen haben, warum z. B. auch kleine Blechdosen mit in den Koffer des Gerätes gehören. Das »Auditing« mit Hilfe des E-Meters ist eines der zentralen Verfahren in der Scientology-Organisation und Kinder sollen bereits früh damit konfrontiert werden. Um zu begreifen, warum Eltern ihren Kindern dieses Verfahren schon möglichst früh antun, ist immer wieder daran zu erinnern, dass auch die scientologisch trainierten Gehirne der Eltern das Ausmaß und die Auswirkungen der Verfahren nicht mehr realisieren. Sie sind von der Lehre des geistigen Wesens, des »Thetan«, dessen Befreiung voranzubringen ist, überzeugt. So interpretieren diese Eltern selbst ihr eigenes Verhalten als rücksichtsvoll und berufen sich dabei auf folgenden Absatz aus dem Buch »Kinder-Dianetik«:
»Man sollte das Kind jedoch nicht dazu zwingen, in die vorgeburtliche Zone zurückzugehen, bevor es mindestens zwölf Jahre alt ist. Wenn das Kind in die ›Grundzone‹ (Hervorhebung im Original, d. Verf.) zurückkehrt, sollte dies akzeptiert und als selbstverständlich behandelt werden, und die Engramme sollten reduziert oder ausgelöscht werden. Der Auditor sollte das Kind jedoch in keiner Weise dazu zwingen, dies zu tun.«
(Hubbard, Lafayette Ronald: Kinder-Dianetik, Kopenhagen 1983, S. 67)
Der letzte Satz dieses Zitates, keinen Zwang auszuüben, kann bei der gesamten Aussage nur die Interpretation zulassen, dass ab dem zwölften Lebensjahr durchaus Zwang angebracht sein kann. Anders ist m. E. nach die Unterscheidung zwischen jüngeren Kindern und denen ab dem 12. Lebensjahr nicht zu erklären.
Dem nicht-scientologischen Leser dieser Zeilen muss – wie so oft – erläutert werden, welche Bedeutung bestimmte Begriffe in der scientologischen Sprachwelt haben. Auch dem Wort »Grundzone« in diesem Zitat könnte man besondere Beachtung schenken. Dazu muss man sich in Erinnerung rufen, dass die Lehre des »Thetan« – wie gesagt – Millionen von Jahren zurückgeht und die Probleme mit »Engrammen« (Schmerzerfahrungen …) die Lösung der aktuellen Schwierigkeiten behindern. Gemäß der Dianetik befinden sich alle Wesen auf der »Zeitspur« (time-track), und beim »Auditing« sind eben diese »Engramme auf der Zeitspur« zu erkennen und zu löschen. Die »Grundzone«, in die die armen Kinder zurückzuführen sind, wird in einer Fußnote im Buch selbst wie folgt erläutert:
»Grundzone: die früheste vorgeburtliche Zeitspanne, einschließlich des Abschnitts des Time-Tracks von der ersten Aufzeichnung auf der Samen- oder Ei-Linie bis zur ersten ausgebliebenen Menstruation der Mutter.«
(Hubbard, Lafayette Ronald: Kinder-Dianetik, Kopenhagen 1983, Seite 67)
Kehren wir nun zu der jungen Mutter des kleinen Edwin zurück, die als hauptamtliche Mitarbeiterin der örtlichen Scientology-Organisation tätig ist. Sie hat kaum Zeit, sich um sich selbst zu kümmern, geschweige denn zu verfolgen, was bei den Sitzungen ihres kleinen Sohnes, der Schritt für Schritt mit dem »Prozessing« der Organisation gefüttert wird, passiert. Wahrscheinlich geht es ihr – wie wohl den meisten Menschen mit Kindern – in der Scientology-Organisation: Es interessiert sie nicht, denn allein der Fortschritt in der Arbeit an seinem Wesen ist für sie Maßstab ihrer Erziehung. So nimmt sie irgendwann durchaus wahr, dass es ihr Sohn Edwin ist, dessen Wimmern sie
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