Kindheit bei Scientology: Verboten (German Edition)
vorwurfsvollem Ton, was denn los sei. Jede Nacht dieses Geschrei! Die junge Frau, die an den anderen Tagen eher genervt irgendetwas erwidert hätte, lächelt ihn nun an – und in sich hinein … Denn ihr Mann ahnt ja nicht, was sie selbst seit gestern weiß, und darüber reden darf sie mit ihm nicht.
Denn Erkenntnisse auf der persönlichen »Zeitspur«, die bei den »Auditing-Sitzungen« erforscht werden, sind nicht für andere bestimmt. Diese Erkenntnis ist eine Sache zwischen ihr und ihrem Großvater. Das ist das für sie nun alles erklärende Ergebnis der Sitzungen am »Hubbard E-Meter«. Den Großvater hat sie zwar nie richtig kennen gelernt, denn er starb kurz nachdem sie geboren wurde, aber das zählt nicht. Wichtig ist, dass sie endlich eine Erklärung dafür hat, was sie auf ihrer Spur, auf ihrem Weg im Leben mit Scientology, u. a. belastet hat. Sie weiß es jetzt, und sie ist sich sicher, denn was das »E-Meter« zeigt, kann nur die Wahrheit sein. Alle Scientologen sind von diesem Gerät und seinen Fähigkeiten fest überzeugt.
So hat die junge Frau erfahren, dass sie als Baby im Verhältnis zu ihrem Großvater Probleme aufgebaut hat. Was das auch immer gewesen sein mag, ist unwichtig, denn nun wird sie die Gelegenheit haben, alles wieder gut zu machen und alle Probleme, die daraus für sie entstanden sein mögen, zu regeln. Das Ergebnis der Sitzung war eindeutig und überzeugend: Der »Thetan« ihres Großvaters, das geistige Wesen, das laut Scientology-Lehren in jedem Körper wohnt und belastet ist, rebelliert im kleinen Edwin, denn es ist der »Thetan« des verstorbenen Großvaters, der den Weg in das kleine Baby gefunden hat.
Für die scientologisch denkende junge Mutter ist klar, dass, wenn sie bei weiteren Sitzungen die Probleme mit dem Großvater klärt, Edwin aufhört zu weinen. Welche Erlösung und welche Möglichkeiten für sie … An diesem Tag verspürt sie schon Erleichterung darüber, dass sie die Ernährung des Babys über die Anweisungen nach Hubbard regeln kann. Der Gedanke, ihren alten Großvater stillen zu sollen, wäre ihr unangenehm, ja sogar etwas eklig. Aber darüber spricht sie natürlich nicht. Und der kleine Edwin wird von ihr nie erfahren, dass er eigentlich der Großvater seiner Mutter ist.
Die Lehre vom »Thetan«
Um das Denken und Verhalten der jungen Mutter des kleinen Edwin einordnen zu können, ist die Kenntnis über die Hubbard’schen Lehrgebäude elementar. Immer wieder muss deutlich gemacht werden, dass Menschen sich im System Scientology verändern und Verhaltensweisen annehmen, die von außen anfänglich nicht erkennbar sind, die aber das Leben irgendwann einzig und allein prägen. Das gilt dann natürlich auch für den Umgang mit Kindern und das Handeln der Erziehungsberechtigten, das sich auf das heranwachsende Kind überträgt. Auch das Kind wird Schritt für Schritt in dieses Denkmuster eingeführt und dann entsprechend handeln.
Der hochstilisierte Gründer der Organisation, L. Ron Hubbard, hat von Beginn an sein Lehrgebäude an der von ihm angeblich erforschten »geistigen Gesundheit« ausgerichtet. Er meinte, erkannt zu haben, dass alle Menschen nach eben dieser »geistigen Gesundheit« streben. Was er darunter verstanden wissen wollte, das ist zu erlernen, zu verinnerlichen und schlussendlich leider auch praktisch umzusetzen.
Gewiss hat sich die Mutter des kleinen Edwin von falschen Versprechungen anlocken lassen. Vielleicht ist ihr irgendwann das Buch »Dianetik« in die Hände gefallen. Die Angebote und Aussagen dieses Buches sind gekoppelt an entsprechende Umsetzungen in einem »Dianetik-Zentrum« und sollen dazu anleiten, den Verstand so zu trainieren, dass man zu immer höheren Leistungen fähig ist. Es ist der Lockruf einer maximal zu erreichenden Intelligenz und damit der Möglichkeit, mit allen kleinen erkennbaren Unzulänglichkeiten, die ein Fortkommen im System verhindern, fertig zu werden.
In der Dianetik wird dieser Grundstein für das Denken und Handeln von Scientologinnen und Scientologen durchgängig vermittelt. Es ist einer der Bausteine, die Menschen zur Scientology rufen. Nach diesen zu verinnerlichenden Vorgaben hat der Verstand eines Menschen zwei Teile: einen reaktiven und einen analytischen.
Der analytische Teil ist derjenige, der zu aktivieren und von störenden Elementen, die sich im reaktiven Teil des Gehirns quasi abgelagert haben, zu befreien ist. Diese störenden »Ablagerungen« nennt man in der
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