King of the World
Alabama, dessen zerrüttete Familie 1926 nach Detroit kam. Louis letzte Schulklasse war die sechste – ein Umstand, der es nahezu allen Sportjournalisten gestattete zu folgern, daß er ein finsterer Ignorant war. Louis sagte wenig in der Öffentlichkeit, was jedoch überwiegend auf die sorgsamen Überlegungen seiner schwarzen Betreuer zurückzuführen war. Das Team aus Jack »Chappie« Blackburn, dem Trainer und Beichtvater, sowie dem Manager John Roxborough und Julian Black formte Louis als Kämpfer wie auch als öffentliche Gestalt. Sie wollten nicht, daß ihr Mann das weiße Amerika vor den Kopf stieß – der alltägliche Rassismus in den dreißiger Jahren war noch immer derart, daß selbst die Presse des Nordens Schwarze als »
darkies
«, »Tiere« und »
sambos
« bezeichnete –, und entsprechend stellten sie für Louis ein ganzes Regelwerk auf.
1. Er durfte sich nie zusammen mit einer weißen Frau fotografieren lassen.
2. Er durfte nie allein in einen Nachtclub gehen.
3. Es gab keine weichen Kämpfe.
4. Es gab keine manipulierten Kämpfe.
5. Er durfte sich nicht an einem am Boden liegenden Gegner weiden.
6. Er mußte vor der Kamera eine unbewegte Miene haben.
7. Er mußte sauber leben und kämpfen.
Mit anderen Worten, Louis wurde als der Anti-Johnson angelegt. Sein Talent war so unbestreitbar und sein Verhalten so ehrerbietig, daß er mit der Zeit sogar die Südstaatenpresse für sich gewann, die sich herabließ, ihn einen »guten Nigger« und »
ex-pickaninny
« (»ehemaligen Feldsklaven«) zu nennen. Anders als Johnson schien Louis zu wissen, was ihm zustand und was nicht. Er beleidigte niemanden. Er floh nicht aus seinem Land wie Johnson, er diente ihm. Im Zweiten Weltkrieg meldete er sich zur Armee und spendete seine Kampfeinnahmen der Regierung. Natürlich nahm ein Großteil der Südstaatenpresse bei der ersten sich bietenden Gelegenheit ihre besondere Form der Unterstützung ganz schnell wieder zurück. Als Louis im Juni 1936 gegen Max Schmeling verlor, schrieb William McG. Keefe von der
Times-Picayune
aus New Orleans, der Kampf sei ein Beweis für die weiße Überlegenheit. Keefe war erleichtert, daß »die Schreckensherrschaft im Schwergewichtsboxen von Schmeling beendet wurde«.
Louis’ Revanchekampf gegen Schmeling am 22. Juni 1938 – ein K.-o.-Sieg in der ersten Runde – war eine noch kompliziertere Metapher als Jeffries’ Niederlage gegen Johnson. Für alle Amerikaner hatte Louis das Schreckgespenst des Ariers geschlagen, den selbsternannten Nazi-Supermann; erneut hatte er sich die Bewunderung der Weißen und Jimmy Cannons berühmtes Lob verdient: »Er macht seiner Rasse Ehre – der menschlichen Rasse.« Für die schwarzen Amerikaner war der Jubel noch stärker und sogar subversiv. Zunächst hatten sie die Befriedigung, daß wenigstens einSchwarzer vom ganzen Land gefeiert wurde, sogar von seinen krassesten Rassisten. Die Arbeit von Nichtsportlern, von schwarzen Aktivisten und so hochrangigen Wissenschaftlern wie A. Philip Randolph und W. E. B. Du Bois war für fast alle weißen Amerikaner unsichtbar, hier aber war nun eine Leistung, die nicht einmal der Großdrache des Ku-Klux-Klan übersehen konnte. Die weiße Presse war nach wie vor besessen von Louis’ Hautfarbe – er war »
the tan tornado
«, »
the mahagony maimer
«, »
the saffron sphinx
«, »
the dusky David from Detroit
«, »
the shufflin’ shadow
«, »
the coffee-colored kayo king
«, »
the sable cyclone
«, »
the tan Tarzan of thump
«, »
the chocolate chopper
«, »
the murder man of those maroon mits«,
»
the sepia slugger
« und, vor allem, der »braune Bomber« –, doch sie konnten ihn nicht angreifen wie damals Jack Johnson. Sein Benehmen, vielmehr sein völliger Mangel an schlechtem Benehmen, war unantastbar.
In den schwarzen Gemeinden war Louis ein Gott, so auch im West End von Louisville. Er war Surrogat und Erlöser. »Wir haben ihn in unserer Familie geliebt«, sagte Cassius Clay senior einmal. »Größer als Joe Louis geht es nicht.« 1940 schrieb Franklin Frazier, daß Louis den Schwarzen gestattet, »die Aggression, die sie wegen der erlittenen Diskriminierungen und Beleidigungen gern gegen Weiße ausführen würden, in seine Hände zu legen«. In ähnlicher Weise erinnert sich die Dichterin Maya Angelou, wie sie als Kind Louis verehrt hatte, »den einen unbesiegbaren Neger, den einen, der sich gegen den weißen Mann erhob und ihn mit den Fäusten niederschlug. In gewisser Weise trug er
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