King of the World
können. Pattersons Camp glich einem klösterlichen Refugium; es bestand aus einer Ansammlung von Häuschen namens Marycrest Farm in der Stadt Elgin. Marycrest war eine Wohlfahrtseinrichtung der katholischen Arbeiter, die sich von Wiltwyck nicht sehr unterschied. Eines der Gebäude, das zu einem Pressezentrum umfunktioniert war, schmückten religiöse Mosaiken und etliche Kruzifixe. Die beiden Türen zu dem Zimmer, in dem die Pressesprecher arbeiteten, waren mit lateinischen Wörtern bezeichnet: über der einen stand
Veritas
, über der anderen
Caritas
. Normalerweise bezeichneten
Veritas
und
Caritas
Kuhställe. Patterson trainierte in einem Zelt, an dem auf einem Schild zu lesen war:
Also sind wir viele ein Leib in Christo
(Römer 12,5). Seine Pressekonferenzen fanden in einem Refektorium unter einem Wandgemälde mit Heiligen darauf statt. Hier fühlte Patterson sichzu Hause. Er war zum Katholizismus konvertiert und wurde nun als der heilige Franziskus des Boxsports etikettiert.
Listons Entourage boten die Promoter ein Camp neben dem Gefängnis von Joliet an. Stacheldraht und Wachturm schienen ihnen der perfekte Hintergrund für Zeitungsberichte über Listons Vergangenheit. Liston fand das nicht. Statt dessen trainierte er auf einer verlassenen Rennbahn in East Aurora, mit Drahttoren und einem uniformierten Cop davor. Das Innenfeld der Rennbahn war eine Ödnis von verdorrtem Gras. Ein fieser Wind pfiff durch die morschen Tribünen. Liston drosch gegen den Sandsack und sparrte in einem behelfsmäßigen Trainingsraum, in dem einst der Totalisator untergebracht war. Als trainierte im einen Camp der legendäre bibeltreue Naturmensch Johnny Appleseed und im anderen der Engel des Todes, meinte einer der Journalisten.
Die Presse pendelte zwischen den beiden hin und her und schlachtete diesen Kontrast von Gut gegen Böse, des guten Negers gegen den bedrohlichen, genüßlich aus. 1962 dominierten noch die Zeitungsleute, allen voran weiße Kolumnisten aus New York: Milton Gross von der
Post
, Jimmy Cannon von der
Herald Tribune,
Dick Young von der
News
, Arthur Daley von der
Times
. Liston traute keinem. Er konnte nicht mal ein Straßenschild lesen, geschweige denn eine Zeitung, aber seine Frau Geraldine las ihm die Artikel vor, und es dauerte nicht lange, bis er wußte, daß er bei den Journalisten wenige Fans hatte. Auch bei den weißen Literaten der diversen Zeitschriften, die angereist waren – Budd Schulberg vom
Playboy
, A. J. Liebling vom
New Yorker
, Ben Hecht von einem Blatt in Nyack und Norman Mailer vom
Esquire
–, war er nicht sonderlich beliebt.
Im literarischen Beiprogramm des Patterson-Liston-Kampfs in Chicago trafen Norman Mailer und James Baldwinaufeinander; letzterer war im Auftrag von
Nugget
erschienen, einer Zeitschrift, die 1965 eingestellt wurde. (Liebling hielt nicht besonders viel von Gastschriftstellern. »Die Presseversammlungen vor diesem Kampf glichen zuweilen hochintellektuellen
pour-parlers
auf einer Mittelmeerinsel«, schrieb er. »Vor eine Schreibmaschine gesetzt, hätten diese versammelten Schriftsteller eine Ausgabe der
Paris Review
in zweiundvierzig Minuten produzieren können.«) Mailer und Baldwin waren in den fünfziger Jahren befreundet gewesen, doch seit 1961 kamen sie nicht mehr allzu gut miteinander aus. Baldwin fühlte sich persönlich wie auch intellektuell beleidigt: persönlich, weil Mailer in einem kritischen Essay über einige Zeitgenossen ihn als »zu reizend, um ein Großer zu sein« bezeichnet hatte; intellektuell, weil er fand, daß Mailers Essay über die Rassenfrage, »The White Negro«, insofern gefährlich war, als er den Schwarzen lediglich als eine Ansammlung ungezügelter sexueller und gewaltsamer Impulse darstellte. In einem 1961 erschienenen Artikel für
Esquire
mit dem Titel »The Black Boy Looks at the White Boy« schrieb Baldwin, Mailer sei machtbesessen und eigentlich noch gar nicht richtig erwachsen, ein arroganter und naiver Beatnik, und habe die Dummheit begangen, eine perverse Vorstellung schwarzer Kultur zu verbreiten, um den bürgerlichen weißen Hipstern zu imponieren.
Als Baldwin nach Chicago kam, wußte er noch nicht so recht, worüber er schreiben sollte. Anders als Mailer, der sich seiner Boxkenntnisse rühmen durfte und mit vielen Trainern und Kämpfern persönlich bekannt war, hatte Baldwin keinen Schimmer von dem Sport. Nie erreichte er die Lässigkeit, mit der Mailer sich im Boxraum bewegte, Boxgeschichten, Metaphern für die Herrlichkeit
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