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King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
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erheblichen Beschränktheiten, der bei Null angefangen und dann, als er eine große öffentliche Stellung erreicht hatte, kaum unabhängiger war als seine Vorfahren in Ketten. Selbst der unversöhnlichste Beobachter der Anhörungen mußte den Eindruck gewinnen, daß Liston, als er 1956 aus dem Gefängnis kam, die Wahl hatte, entweder unter der Leitung des Mobs zu boxen oder sich als schwarzer Analphabet auf den Arbeitsmarkt zu begeben. »Ich mußte essen«, sagte er, und der Mob stand bereit, ihm die Suppe auszuschenken.
    Im Verlauf seiner Vernehmung wurde Liston zu einem Brief befragt, den er angeblich an den Boxer Ike Williams geschrieben oder diktiert hatte. Liston behauptete, er könne sich an einen solchen Brief nicht mehr erinnern, worauf ihn Senator Everett Dirksen, ein altehrwürdiger Republikaner aus Illinois, auf seine ausnehmend pompöse Art in die Mangel nahm. Listons Anwalt erinnerte das Komitee daran, daß Liston nicht lesen konnte.
    »Aber Zahlen erkennen Sie doch, oder?« fragte Dirksen Liston. »Können Sie Zahlen unterscheiden? Angenommen, wir haben da ein Dollarzeichen und ›100‹. Können Sie erkennen, daß das einhundert Dollar bedeutet?«
    Liston gab zu, daß er das konnte.
    »Oder eintausend Dollar?« sagte Dirksen. »Na, Zahlen erkennen Sie. Ich glaubte, hier Ihren Namen gesehen zu haben, angeblich von Ihnen geschrieben. Schreiben Sie Ihren Namen?«
    »Ja, Sir.«
    »Schreiben Sie auch Ihre Adresse? Können Sie Ihre Adresse schreiben?«
    »Nein, Sir«, sagte Liston.
    »Ihre Hausnummer? Wie steht es damit?«
    »Na, ich kann ›5785‹ schreiben.«
    »Sie können Zahlen schreiben?«
    »Genau.«
    »Hier steht beispielsweise ›Charles Liston, 39 Chestnut‹ geschrieben. Wären Sie in der Lage, ›Chestnut‹ zu schreiben?«
    »Nein, Sir.«
    »Aha. Aber Ihren Namen können Sie schreiben?«
    »Ja, Sir.«
    »Und die Zahl. Angenommen, Ihr Anteil der Börse, einer Kampfbörse, beträgt fünfundzwanzigtausend Dollar, und man händigt Ihnen einen Scheck darüber aus. Wüßten Sie, ob man Ihnen einen Scheck über fünfundzwanzigtausend Dollar gegeben hat?«
    »Also«, sagte Liston, »nicht genau.«
    Die herablassende Art des Komitees (und dabei verdient der grauenvolle Dirksen eine besondere Hervorhebung) war derart, daß Liston fast wie eine Kuriosität in einer Schaubude behandelt wurde: Sonny der Kraftmensch. Sehen Sieihn zuschlagen! Sehen Sie ihn sprechen! Es schien die Senatoren zu amüsieren, daß Liston – ein Schwarzer, während der Weltwirtschaftskrise im ländlichen Süden aufgewachsen – kein hochgebildeter Mensch war.
    »Was für eine Ausbildung haben Sie gehabt?« fragte Kefauver.
    »Ich hatte keine«, sagte Liston.
    »Sie sind überhaupt nicht zur Schule gegangen?«
    »Nein, Sir.«
    »Vermutlich hatten Sie kaum Gelegenheit dazu.«
    »Zu viele Kinder.«
    »Wie viele Kinder waren Sie?«
    »Also, mein Vater hatte fünfundzwanzig.«
    »Fünfundzwanzig Kinder?«
    »Insgesamt.«
    »Fünfundzwanzig Kinder insgesamt«, sagte Kefauver. »Senator Dirksen hat eine Bemerkung zu machen.«
    Das tat der Senator auch. »Ich wollte nur sagen, daß Ihr Vater auch ein Champion ist.« Das Komitee und die Zuschauer im Senate Office Building, Zimmer 308, mußten darüber herzlich lachen.
     
    Charles Liston begann mit weniger als nichts. Über seine Verbindungen zur Unterwelt mag er vor dem Komitee gelogen haben, was aber seine Herkunft betraf, sagte er die Wahrheit, insofern er die Einzelheiten kannte. Bis an sein Lebensende kannte Liston weder das genaue Jahr noch den Ort seiner Geburt. Er legte sich mal auf 1932, mal auf 1933 fest und soll in unterschiedlichen Baumwollstädten in Arkansas westlich von Memphis und östlich von Little Rock geboren worden sein: in Forrest City oder vielleicht Sand Slough, was zur Morledge-Pflanzung gehörte, auf der sein Vater Tobe Liston arbeitete. Als Liston Profi wurde und dienotwendigen Unterlagen für die Lizenzierung brauchte, bastelten seine Manager eine Geburtsurkunde zusammen, die auf den 8. Mai 1932 lautete, allerdings setzten seine frühen Verhaftungsprotokolle das Datum auf 1927 oder 1928 an, was realistischer war.
    Zum Ende seiner Karriere, wenn man ihn auf sein Alter ansprach (er wirkte ja immer viel älter, als er angab), antwortete er zumeist mit Einschüchterungen. Beispielsweise beschuldigte er den Reporter dann, seine Mutter der Lüge zu bezichtigen, was genügte, um das Gespräch zu beenden. In den seltenen Momenten, in denen er mit jemandem sprach, dem er

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