King of the World
zeigte ihm morgens einen Schlag oder eine Technik, und abends hatte er es drauf. Aber Sonny war schon ein armer Kerl. Kämpfen konnte er, mehr aber auch nicht. Er hatte den Verstand eines Elfjährigen, war einfach ein großes Kind. Er konnte der netteste Kerl der Welt sein, und dann hakte er plötzlich aus und driftete ab. Aber kein Zweifel – er konnte zuschlagen wie ein Maultier. Bald gab es im Gefängnis keinen mehr, der mit ihm in den Ring wollte.«
Father Stevens erkannte Listons Potential, zumindest als Boxer, und so rief er bei Bob Burnes, dem Sportredakteur des
St. Louis Globe-Democrat
an, um sich Rat zu holen, wie er Liston dazu verhelfen könnte, Boxer zu werden. Father Stevens hatte so naive Vorstellungen von der großen Welt des Berufsboxens, daß er Burnes fragte, ob er einen Kampf mit dem damals Größten im Schwergewicht, Rocky Marciano, arrangieren könne. Burnes lachte und schickte Stevens zu zwei Freunden: Monroe Harrison, ein ehemaliger Sparringspartner von Joe Louis, der nun Hausmeister an einer Schule war, und Frank Mitchell, der Herausgeber einer Wochenzeitschrift namens
St. Louis Argus
, deren Leserschaft hauptsächlich Schwarze waren. Harrison und Mitchell waren so neugierig, daß sie eine Sparringsrunde im Gefängnis arrangierten. Sie heuerten einen respektablen Schwergewichtler namens Thurman Wilson aus der Gegend an und fuhren mit ihm zum Gefängnis.
Im Auto fragte Wilson Mitchell: »Wie viele Runden?«
»So viele du magst«, sagte Mitchell. »Aber wir wollen den Jungen ja nicht blamieren.«
Zu der Zeit war Liston bei weitem noch nicht der Kämpfer, der er einmal sein sollte. Er benutzte ausschließlich die Linke. In der Boxersprache: Er konnte sich mit der Rechten nicht mal den Arsch abwischen. Doch die Linke reichte für Thurman Wilson völlig aus; der Jab war eine Keule, der Haken ein Todesstreich. Wenn Liston in der Gefängnisturnhalle am Sandsack arbeitete, hinterließ er eine Beule von der Größe eines Medizinballs. Im Ring beulte er nun Wilson, brachte immer wieder Jabs und Haken an. Nach vier Runden Dauerbeschuß wankte Wilson unter schrecklichen Schmerzen in seine Ecke und sagte zu Mitchell: »Hol mich bloß raus hier. Der bringt mich noch um.«
Harrison ging zu Burnes, um sich zu bedanken.
»Endlich hast du mir einen Echten gebracht«, sagte er.
Aber da gab es noch das dumme Problem, daß Liston einsaß. Nachdem Father Stevens sich ungefähr ein Jahr beim Bewährungsausschuß für ihn eingesetzt hatte, schaffte er es schließlich im Oktober 1952, daß Liston entlassen wurde, mit der Auflage, daß er sich zusammen mit Frank Mitchell und Monroe Harrison um ihn kümmerte. Das erwies sich dann als dubioses Arrangement. In St. Louis wußte man, daß Mitchell enge Beziehungen zu John Vitale hatte, dem größten Mobster der Stadt – und je mehr Liston von sich reden machte, desto mehr interessierten sich auch John Vitale und der Mob für ihn.
Anfangs arbeitete Liston sehr eng mit Harrison zusammen, der als ehrlicher und fleißiger Mann bekannt war. Harrison wollte Liston unbedingt auf den rechten Pfad lenken. Er besorgte ihm ein Zimmer im YMCA in der Pine Street und einen Job in einer Stahlfirma. Eine Weile wenigstens sorgtedieses Arrangement für Stabilität. Abends nach der Arbeit trainierte Liston entweder im Freimaurertempel oder im Ringside Gym in der Olive Street. Von Beginn an trainierte er zu dem Song »Night Train«, einem lasziven Lieblingsstück von Stripperinnen, das der St. Louiser Saxophonist Jimmy Forrest geschrieben und populär gemacht hatte. (Später bevorzugte Liston James Browns »Night Train«, eine düsterere, rauhere Version desselben Songs.) Mit Harrison in der Ecke gewann Liston dann auch seine ersten Kämpfe – erst in Golden Gloves-Wettbewerben im ganzen Land und dann, ab September 1953, gegen Schwergewichtsprofis. Schließlich meldeten sich die Zeitungen. Liston war ein Mann mit Zukunft.
»Sonny ist einer, der viel Verständnis braucht«, sagte Harrison zu einem Reporter, der ihn in seinem Kellerbüro in der Carr Lane Branch-Schule in St. Louis aufsuchte. »Er ist durch und durch bösartig. Die Jugend, alles die Jugend! Er braucht jemanden, der ihm hilft, seine Gefühle zu beherrschen. Er muß immer beschäftigt werden, bis diese Jugend, diese Kraft ihn verläßt, so wie sie uns alle verläßt. Im Moment ist er wie der Leopard, das wilde Tier im Dschungel … Er braucht Training. Er braucht Liebe. Die richtigen Leute müssen Interesse an dem
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