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King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
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vertraute, sagte Liston, am Tag seiner Geburt habe jemand aus der Familie das Ereignis festgehalten, indem er einige Namen und Daten in einen Baum geritzt habe.
    »Das Dumme ist«, sagte Liston, »sie haben den Baum gefällt.«
    Die Familie Liston war riesig. Helen Baskin hatte schon elf Kinder, als sie Charles gebar. Tobe Liston hatte schon ein Dutzend mit einer anderen Frau, bevor er Helen kennenlernte. Die Listons waren kleine Farmpächter, die 1916, als Tobe fünfzig und Helen sechzehn war, aus Mississippi nach Arkansas gezogen waren. Sie pachteten von einem schwarzen Landmakler namens Pat Heron ein Stück Land und bauten hauptsächlich Baumwolle an, aber auch Erdnüsse, Mais, Sorghumhirse und Süßkartoffeln. »Der Boßmann«, sagte Helen Liston, »hat drei Viertel von der Ernte gekriegt.« Das Haus war eine baufällige, völlig überfüllte Hütte, in der es im Winter kalt und im Sommer glühend heiß war.
    Statt zur Schule, schickte Tobe Liston Sonny aufs Feld; da war er acht. Sein Motto war, wenn die Kinder alt genug waren, um zum Eßtisch zu kommen, waren sie auch alt genug, um zu arbeiten. Tobe war brutal zu seinen Kindern, auch und gerade zu Sonny. Er verprügelte ihn so oft, daß Sonnyihn fragte, wenn er an einem Tag einmal keine Dresche bekam: »Warum hast du mich heute nicht ausgepeitscht?« Die Narben der Kindheit waren zeit seines Lebens auf seinem Rücken gut sichtbar.
    »Ich kenne die Gründe für meine Fehler«, sagte Sonny Jahre später. »Als Kind hatte ich nichts als einen Haufen Brüder und Schwestern, eine hilflose Mutter und einen Vater, der sich einen Dreck um uns kümmerte. Wir wuchsen auf wie die Heiden. Wir hatten kaum genug zu essen, um nicht zu hungern, keine Schuhe, nur wenig zum Anziehen, und keinen, der uns half, diesem schrecklichen Leben zu entkommen.«
    Während des Krieges und auch noch einige Zeit danach war die Ernte auf dem Farmland im östlichen Arkansas schlecht. Helen ging nach St. Louis, um in einer Schuhfabrik zu arbeiten, wohin sie auch einige ihrer Kinder mitnahm. Ihren jüngsten Sohn ließ sie zurück. Doch als Liston dreizehn wurde, faßte er den Entschluß, daß er von dem ganzen Baumwollpflücken und den Schlägen genug hatte, und überlegte, zu seiner Mutter zu gehen.
    »Eines Morgens bin ich früh aufgestanden und hab die Pecannüsse vom Baum meines Schwagers geschlagen, dann bin ich mit den Nüssen in die Stadt gegangen und hab sie verkauft«, sagte er zu dem Sportjournalisten A. S. »Doc« Young. »Davon hatte ich genügend Geld für eine Fahrkarte nach St. Louis. Ich hab mir die Stadt so ähnlich wie das Land vorgestellt und daß ich bloß jemand fragen brauchte, wo meine Mutter wohnt, und daß der mir dann sagt, die wohnt ein Stück die Straße lang. Aber als ich dann in der Stadt war, waren dort so verflucht viele Leute, und ich bin bloß herumgeirrt.« Liston landete schließlich auf einer Polizeiwache, wo er ein paar Nächte schlief, Mortadellasandwichs zu essen bekam und gut versorgt wurde. »An einem Vormittag habich meine Geschichte einem Pennbruder erzählt, und der hat gesagt, ich ähnle der Frau, die ein Stück die Straße lang wohnt. Dann ist er mit mir dahin, ich klopf an die Tür, und wer aufmacht, ist mein Bruder Curtice. Von da an war ich bei meiner Mutter.«
    Anfangs arbeitete Sonny gegen ehrlichen Lohn – wenn auch einen erbärmlichen. »Ich hab Kohle verkauft. Ich hab Eis verkauft. Ich hab Holz verkauft. Für fünfzehn Bucks die Woche hab ich auf einem Geflügelmarkt Hühner ausgenommen … An den guten Tagen hab ich gegessen. An den schlechten hab ich meinem Magen gesagt, heute ist nichts. Und ich war immer schnell in Schwierigkeiten. Wenn man als farbiger Junge durchkommen will, muß man eines ganz schnell lernen – der einzige, der sich um einen kümmert, ist man selber. Das hab ich gelernt.« Liston ging kurze Zeit zur Schule, doch er litt darunter, daß er weder lesen noch schreiben konnte und daß er so groß war. Seine Eltern waren klein geraten – Tobe war einen Meter fünfundsechzig groß, Helen einen Meter dreiundfünfzig –, er aber war groß. Mit zwölf hatte Liston schon Mannesgröße erreicht und besaß von seinen Jahren der Landarbeit riesige Hände und einen kräftigen Körperbau. »Wenn andere mich aus einem Klassenzimmer mit so kleinen rauskommen sahen, haben sie sich über mich lustig gemacht und mich ausgelacht, und ich hab dann zugeschlagen«, sagte Liston. »Und dann hab ich die Schule geschwänzt und hab andere

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