King of the World
führen und ›yassuh‹ und ›nawsuh‹ sagen und wissen, was mir zusteht und was nicht.«
Clays Verweise auf die amerikanische Rassentrennung waren zu der Zeit häufig, aber auch zurückhaltend. In Wahrheit hatte er nämlich ein Geheimnis. Schon bevor er auszog, um in Rom die Goldmedaille zu gewinnen, war er fasziniert von einer Sekte namens Nation of Islam, besser bekannt als die Black Muslims. Clay hatte von der Gruppe erstmals in Chicago erfahren, als er dort bei einem Golden Gloves-Turnier boxte. Chicago war der Sitz der
Nation
und ihres Führers Elijah Muhammad, und Clay begegnete den Muslims in der South Side. Seine Tante erinnert sich, wie er mit einer Langspielplatte mit Muhammads Predigten nach Louisville zurückkehrte. Dann, im Frühjahr, bevor er zur Olympiadeabfuhr, las Clay eine Ausgabe der offiziellen Zeitung der
Nation
,
Muhammad Speaks
. Was er da in der Muslim-Rhetorik über Stolz und Separatismus las und hörte, beeindruckte ihn nachhaltig. »Die Muslims waren damals in Louisville praktisch unbekannt«, sagte Clays High-School-Freund Lamont Johnson. »Sie hatten einen kleinen Laden, einen Tempel, den ein schwarzer Typ mit weißen Flecken auf der Haut leitete, aber niemand scherte sich darum. Niemand hatte von ihren Bohnenaufläufen gehört, wie sie lebten, was sie dachten. 1959 waren die nicht mal groß genug, um Angst zu verbreiten.«
Clay verblüffte seine Englischlehrerin an der Central High, als er ihr sagte, er wolle seinen Schuljahrsaufsatz über die Black Muslims schreiben. Sie verweigerte es ihm. Aber nie ließ er sich anmerken, daß sein Interesse an der Gruppe mehr als die flüchtige Neugier eines Schülers war. Etwas in ihm hatte darauf angesprochen, es hatte mit der Disziplin und der Haltung der Muslims zu tun, mit ihrer Betonung von Hierarchie, Männlichkeit und Selbstachtung, damit, daß sie weder rauchten noch tranken oder Zechgelage veranstalteten, daß sie stolz auf ihre Rasse waren.
Nach seiner Rückkehr aus Rom besuchte Clay in mehreren Städten Versammlungen der NAACP (»National Association for the Advancement of Colored People«), des CORE (»Congress of Racial Equality«) und der Nation of Islam. Andere Athleten wie Curt Flood und Bill White von den St. Louis Cardinals hatten auch hereingeschaut, um die Muslim-Prediger zu hören, waren aber, nachdem sie sich die Schlagwörter über die »blauäugigen Teufel« ein paar Minuten angehört hatten, wieder gegangen. Clay dagegen war von den Muslims beeindruckt wie von keiner anderen Gruppe oder Kirche. »Das Konkreteste, das mir in den Kirchen begegnet war, war Segregation«, sagte er Jahre später.»Aber nun habe ich gelernt, mich so anzunehmen, wie ich bin, und ich selbst zu sein. Ich weiß, daß wir die Ur-Männer sind und das größte Volk auf dem Planeten Erde und unsere Frauen seine Königinnen.«
Im März 1961, nach seinem Umzug nach Miami, begegnete Cassius auf der Straße einem Mann, der auf den Namen Captain Sam hörte – Sam Saxon, ein Billardsalon-Typ, ein Straßenganove, der sich Mitte der fünfziger Jahre, nachdem er Elijah Muhammad hatte reden hören, völlig verändert hatte und der
Nation
beigetreten war. Nach einer Stippvisite in Chicago war Captain Sam nach Miami gegangen, um dort das Wort zu verbreiten. Der oberste Muslim-Geistliche dort war Ishmael Sabakhan, und Saxon sagte, der »Sendbote«, Elijah Muhammad, wolle, daß er Sabakhans Captain sei. Wenn er nicht gerade neue Muslims rekrutierte oder
Muhammad Speaks
auf der Straße verkaufte, vertrieb er Konzessionen auf den Rennbahnen Miamis, Hialeah, Gulfstream, Tropical Park. Auf Toiletten verdiente er sich Trinkgelder, indem er Weißen das Handtuch reichte oder anbot, ihnen die Schuhe zu putzen.
Captain Sam und Clay kamen auf Elijah Muhammad zu sprechen. Saxon war überrascht, daß der junge Mann von der Gruppe gehört hatte und offenbar Bescheid wußte.
»Hey, du findest die Lehre gut«, sagte er.
»Also, ich war noch nicht im Tempel, aber ich weiß, wovon du sprichst«, sagte Clay. Clay stellte sich vor und sagte Saxon (wie nahezu jedem), er werde bald Weltmeister im Schwergewicht sein. Er lud Saxon zu sich ein, um ihm sein Sammelalbum zu zeigen. Saxon ging mit, und bei ihren Unterhaltungen fiel ihm auf, wie Clay über die Muslims redete. So ungeschult Clay auch war, lag ihm doch eindeutig sehr viel daran, also lud Saxon ihn zu einer Versammlung in der örtlichen Moschee ein.
Der Prediger, ein Mann namens Brother John, spulte eine Predigt über
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