King of the World
schwarze Identität ab, die, fast Wort für Wort, zum Standardrepertoire Muhammad Alis werden sollte. »Warum nennt man uns Neger?« predigte Brother John. »Auf diese Weise nimmt uns der weiße Mann unsere Identität. Seht Ihr einen Chinesen kommen, dann wißt Ihr, er ist aus China. Seht Ihr einen Kubaner kommen, dann wißt Ihr, er ist aus Kuba. Seht Ihr einen Kanadier kommen, dann wißt Ihr, er ist aus Kanada. Welches Land heißt Neger?« Sodann sprach Brother John darüber, daß die Namen der amerikanischen Schwarzen Sklavennamen seien, Namen, die keine Herkunft beinhalteten, Namen, die die Herkunft der Schwarzen aktiv
auslöschten
.
»Das leuchtete mir ein«, sagte Clay viele Jahre später dem Autor Thomas Hauser, als sie zusammen an seiner Biographie arbeiteten. »Was Brother John da sagte, konnte ich mit Händen greifen. Es war nicht wie Kirchenunterricht, wo ich daran glauben mußte, daß das, was der Pfarrer predigte, richtig war. Und ich sagte mir: ›Cassius Marcellus Clay. Das war ein weißer Mann aus Kentucky, dem mein Ururopa gehörte und der meinen Uropa nach sich benannte. Und dann wurde mein Opa so genannt und dann mein Daddy, und jetzt heiße ich so.‹«
Von da an befaßte sich Clay immer eingehender mit der Nation of Islam, las
Muhammad Speaks
, hörte sich die Schallplatte mit dem Titel
A White Man’s Heaven Is a Black Man’s Hell
an (»Der Himmel der Weißen ist die Hölle der Schwarzen«) und suchte vor allem die Gesellschaft von Muslims, die in ihm ein wertvolles neues Mitglied sahen. Jeremiah Shabazz, der geistliche Leiter des Regionalbüros der
Nation
in Atlanta, reiste nach Miami, um Clay kennenzulernen. Er erzählte ihm, daß Buddha in China chinesisch aussieht und daß die Europäer und Amerikaner einen weißenChristus verehren. Warum verehrten die schwarzen Amerikaner keinen schwarzen Gott? Warum verbrachte ein Schwarzer wie Cassius Clay senior seine Zeit damit, Wandgemälde von einem weißen Jesus zu malen? Der Nation of Islam zufolge, sagte Shabazz zu Clay, sei Gott nämlich schwarz. Er gab Clay mündlichen Unterricht über die Geschichte der Sklaverei, sagte ihm, kein Teufel unter der Erde könne schlimmer sein als der Teufel auf der Erde, der die Schwarzen unterdrückte, sie in Ketten legte, sie Amerika aufbauen ließ, während er sie als Sklaven hielt und seine Kinder genauso. Er sagte Clay, auch die Kirche, in der er aufgewachsen sei, sei eine Art Sklaverei, eine raffinierte Form der Befriedung, eine Art, den Neger sonntags singen und weinen zu lassen, statt daß er auf die Straße ging und sich befreite. Er erzählte dem jungen Mann, wie töricht die Bürgerrechtsbewegung sei, wie töricht, daß sich die Schwarzen auf der Straße mit Tränengas besprühen und verprügeln, von Hunden beißen, von Wasserwerfern umstoßen ließen, und alles nur, um die Weißen zu beeindrucken; wie töricht es sei, um ihre Freiheiten zu
bitten
, die doch ihr natürliches Recht seien. Die Prediger der Nation verlangten eine kompromißlose Opposition, eine Opposition, die unbedingt nötig sei. »Jeder kann sitzen«, sagte Elijahs Schüler Malcolm X, womit er die Freedom Rider und die Sit-In-Demonstranten Martin Luther Kings kritisierte. »Eine alte Frau kann sitzen. Ein Feigling kann sitzen … Aber nur ein Mann kann stehen.« Die Nation of Islam, sagte Malcolm, lehne es ab, dazusitzen und sich verprügeln zu lassen. Er sagte den Weißen: »Vielleicht seht ihr ja diese Neger, die an Gewaltfreiheit glauben, und verwechselt uns mit einem von denen und schlagt uns, in dem Glauben, wir hielten die andere Wange hin – wir aber bringen euch um, einfach so.«
Diese harten Botschaften der Stärke kamen bei CassiusClay an. Er war im segregierten Louisville aufgewachsen und lebte nun im segregierten Miami, wo nicht einmal Joe Louis ein Zimmer im Hotel Fontainebleau bekam. Clay war auch ein Suchender, ein Mann des Dramas, und die Selbstdramatisierung der Muslims, der Gedanke, daß der schwarze Mann der Ur-Mann war, daß er schon große Kulturen geschaffen hatte, als der weiße Mann noch in Höhlen lebte, das alles kam ebenfalls bei ihm an. Cassius und sein Bruder Rudy besuchten die Moschee oder Red’s Barbershop in Overtown, wo die Muslims aus dem Koran lasen oder den Schöpfungsmythos nacherzählten.
Nach und nach lernte Clay mehr über die Muslims und den seltsamen und komplizierten Mann, der sich zu ihrem Sendboten erklärt hatte. Elijah Muhammad wurde 1897 im ländlichen Georgia geboren. Da hieß er
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