King of the World
abschoß, schien er sich überzeugen zu wollen, daß keine Antwort darauf kommen würde. Jeder Jab Clays, der von Moores Kopf zurückprallte, führte dem jüngeren Mann die Grausamkeit des Alters vor Augen – für ihn eine beruhigende Entdeckung, nicht dagegen für Moore.
In der zweiten erwischte Moore Clay dann mit einer Rechten. Sie schoß aus einem Gewühl verklammerter Arme hervor und erschreckte Clay, mehr aber richtete sie nicht an. In der dritten war Moore schon so erschöpft davon, mithalten zu wollen, daß ihm die Arme allmählich herabsanken. Seine Neigung, bei Clay Schaden anzurichten, war auf Null. Moore duckte sich immer tiefer, als wollte er mit der Matte verschmelzen, doch Clays Reichweite war groß. Er beugtesich vor und rammte Moore einen linken Haken nach dem anderen auf die Platte. Jahre später sollte Moore sagen, daß diese Treffer in ihrer Masse ihn benommen machten: »Sie verwirrten meinen Geist.«
Clay machte, was er wollte. Jeder Schlag – die Jabs, die Haken, die schnellen, von oben kommenden Rechten – fand sein Ziel, und Moore konnte sich kaum noch halten, kauerte immer tiefer. Mitten in der dritten Runde traf Clay Moore voll aufs Kinn. Moore wankte. Dann machte er ein paar Laufschritte rückwärts zu den Seilen, fand sie und hängte sich daran. Clay weigerte sich, ihm zu folgen, mehr, wie es schien, aus ästhetischen Gründen als aus mangelndem Antrieb. Er hatte einen Knockout in der vierten Runde vorausgesagt und wollte sich seine reine Vision des Kampfs erhalten.
In der vierten kam Clay plattfüßig aus seiner Ecke, um einen besseren Stand für seine Schläge zu haben, und nach ein paar vorbereitenden Jabs, um die Schultern aufzuwärmen, strebte er den Knockout an. Moore krümmte sich wieder an der Taille, wie im Gebet, doch er konnte sich gar nicht tief genug beugen. Moore ließ ein paar wilde Schwinger los, um seinen Ruf zu wahren, worauf Clay zurückjabbte, ihn für diese Verzögerung bestrafte. Clay kreiste, kreiste und brach dann urplötzlich mit einem Uppercut über Moore herein, der diesen aus seiner Kauerhaltung aufrichtete, dann noch weitere Treffer, alle genau und gerade, wie saubere Hammerschläge auf einen Nagel, und Moore ging zu Boden. Clay stellte sich über den daliegenden Klumpen, um sich zu verbeugen, tänzelte noch kurz und verzog sich dann widerstrebend in die neutrale Ecke. Er verachtete dieses obligatorische Zurückweichen; es bedeutete, den Mittelpunkt der Bühne zu verlassen.
Unterdessen hatte Moore sich aufgerafft und sich auf dielinke Seite gedreht, ein alter Mann, der aus einem unruhigen Schlaf erwacht. Dann trieb ihn sein Stolz noch unmittelbar vor der »zehn« auf die Beine. Mit einem verärgerten Blick (er hatte geglaubt, es sei vorbei) ging Clay in der Ringmitte wieder auf Moore los und schlug auf ihn ein. Moore brachte noch einen wilden Schwinger an, wie um sich gegen etwaige spätere Vorwürfe, aufgegeben zu haben, abzusichern, und sank dann wieder langsam zu Boden, nachdem Clay ihn oben am Kopf getroffen hatte. Jetzt war es soweit, und das wußte Moore. Er blieb auf dem Rücken liegen.
Nach dem Kampf nahm Clay Moore liebevoll in den Arm, so wie man seinen Großvater umarmt.
Später fügte Moore noch einen Zusatz an. »Ganz klar, er ist bereit für Liston«, sagte er den um ihn versammelten Reportern. »Sonny wäre schwer für ihn, und ich hätte Bedenken, ob er den Champion schlagen könnte, aber ich garantiere, daß er ihm einen äußerst interessanten Abend bereiten würde.«
KAPITEL 7
GEHEIMNISSE
New York, 1964. Mit Elijah Muhammad.
1962 war Clay einer der ersten Anwärter auf den Schwergewichtstitel, doch sein Ruf beruhte nun ebenso auf seiner Persönlichkeit wie auf seinen sportlichen Fähigkeiten. »Es sprach sich herum, daß ich etwas war, was die Welt noch nicht gesehen hatte«, sagte er Jahrzehnte später. Trotz seiner Verträumtheit im Unterricht, trotz seiner Schwierigkeiten, ein Buch oder eine Bilanz zu lesen, könnte Clay gut und gern der selbstbewußteste Einundzwanzigjährige im ganzen Land gewesen sein. Wie die intelligentesten Komiker, Politiker oder Schauspieler war er jederzeit Herr selbst der ausgefallensten Auftritte. »Was glauben Sie wohl, wo ich nächste Woche wäre, wenn ich nicht wüßte, wie man schreit und brüllt und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt?« sagte er. »Ich wäre arm und wahrscheinlich in meiner Heimatstadt, würde Fenster putzen oder einen Fahrstuhl
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