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King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
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theatralischen Narzißmus und einer flexiblen sexuellen Identität ausschöpfte – ein Liberace in Strumpfhosen. Er hatte lange blonde Haare, und wenn er den Ring betrat, trug er Lockenwickler. In seiner Ecke nahm er die Lockenwickler heraus und ließ sich von einem seiner Trabanten die goldenen Haare auf die Schultern bürsten. Er trug einen Mantel aus silbernem Lamé, und seine Fingernägel waren manikürt und poliert. Ein Lakai besprühte die Ringmatte mit Insektiziden, ein anderer Gorgeous George mit Kölnischwasser.
    Bei dem Radiointerview war Clay nicht gerade schweigsam. Die Presse hatte ihm schon diverse Spitznamen verpaßt (Gaseous Cassius, the Louisville Lip, Cash the Brash, Mighty Mouth, Claptrap Clay usw.), und er sagte auch gleich einen leichten Sieg über Duke Sabedong voraus. Doch neben Gorgeous George war seine Zunge gelähmt.
    »Ich bring ihn um!« schimpfte Gorgeous. »Ich reiß ihm den Arm raus! Wenn mich dieser Penner schlägt, krieche ich durch den Ring und schneid mir die Haare ab. Aber das wird nicht geschehen, ich bin der größte Wrestler der Welt!«
    Gorgeous George war schon sechsundvierzig – er hatte diesen Gimmick schon seit Jahren drauf –, doch Clay war beeindruckt, mehr noch, als er Gorgeous George kämpfen sah. Jeder Platz in der Arena war besetzt, und fast jeder Fan schrie nach Georges goldenem Skalp. Das Entscheidende aber war, daß die Halle voll war. »Viele bezahlen nur, weil sie sehen wollen, wie dir einer das Maul stopft«, sagte er zu Clay in der Kabine nach seinem Auftritt. »Also reiß weiter das Maul auf, sei weiter unverschämt und immer skandalös.«
    Clay nahm sich das zu Herzen. »Ich habe fünfzehntausend Leute gesehen, die wollten, daß dieser Mann geschlagen wird«, sagte er. »Und das nur, weil er so redet. Ich sagte, das ist eine guuuute Idee!«
     
    Indem die Presse Clay mehr Aufmerksamkeit widmete, zunächst in Louisville und Miami und dann auch in überregionalen Medien wie
Sports Illustrated
, wurde zunehmend darüber gerätselt, wie ein Zwanzigjähriger überhaupt auf diese Masche verfallen konnte, diese bizarre Kombination aus beweglicher Athletik und krasser Marktschreierei. Alle möglichen Theorien wurden angeführt, die sich auch in den kommenden Jahren hielten: Den Kampfstil habe er direktvon Sugar Ray Robinson und Billy Conn; das lose Mundwerk von Cassius Clay senior; den extravaganten Gestus von Jack Johnson, von Archie Moore, von Gorgeous George. Tatsächlich war Clay der neueste Showman in der großen amerikanischen Tradition narzißtischer Eigenwerbung, ein Nachkomme von Davy Crockett, Buffalo Bill und Dutzenden anderer. Clay erkannte sie als Vorbilder an – falls er sich dessen überhaupt bewußt war –, doch er bestand auch auf seiner Originalität, und das zu Recht.
    »Ich kenne Typen in Louisville, die mich mit ihrem Wagen zum Boxkeller mitgenommen haben, wenn mein Motorroller kaputt war«, sagte er. »Jetzt wollen sie mir einreden, sie hätten mich gemacht und daß ich sie nicht vergessen soll, wenn ich reich werde. Und mein Daddy, der liegt mir auch in den Ohren. Er sagt: ›Hör nicht auf die anderen, Junge, ich habe dich gemacht.‹ Er sagt, er hat mich gemacht, weil er mich mit Gemüsesuppe und Steaks gefüttert hat, als ich ein Baby war, und er konnte sich keine Schuhe leisten, sagt er, weil er das ganze Essen bezahlen mußte, und daß er sich mit meiner Mutter stritt, die nicht wollte, daß ich so klein schon solche Sachen aß. Mein Daddy sagt auch, er hat mich gemacht, weil er dafür gesorgt hat, daß ich nicht arbeiten mußte, damit ich boxen konnte – ich habe keinen Tag in meinem Leben gearbeitet –, und er hat mich zu diesem und zu jenem gemacht … Aber jetzt hören Sie mal zu. Wenn Sie darüber reden wollen, wer mich gemacht hat, dann reden Sie mit mir. Denn
ich
habe mich gemacht.«
    Während der Jahre 1961 und 1962 legte Clay sowohl als Boxer wie auch als Selbstdarsteller an Geschwindigkeit zu. Er schlug eine Reihe hochrangiger Schwergewichtler – Alonzo Johnson, Alex Miteff, Willie Besmanoff, Sonny Banks, Don Warner, George Logan, Billy Daniels, Alejandro Lavorante –, und selbst im Augenblick der größten Gefahr,als er in der ersten Runde gegen Banks zu lässig war, zu verspielt, und dieser ihn niederschlug, zeigte er neue Qualitäten, nämlich Nehmerqualitäten; er erholte sich und gewann in der vierten Runde. Danach beschrieb Harry Wiley, Banks’ Betreuer und eine lebende Legende der New Yorker Boxszene, das

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