King Stephen
Ich erinnerte mich,
wie ich dachte, er wolle mir mein Herz ‘rausreißen.
Jetzt verstand ich: kurz bevor er mich in die Nacht
hinausstieß hatte er mir den Button an mein Hemd
angeheftet. Es war seine Art, mich zu
kennzeichnen, unser Zusammentreffen unmöglich
in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Schnitte auf
meinem Handrücken trugen ebenso dazu bei wie
auch der Button auf meinem Hemd. Er hatte mich
aufgefordert auszuwählen und ich hatte ausgewählt.
Aber wie konnte meine Mutter noch am Leben
sein?
“Dieses?” Ich tippte mit dem Daumen darauf,
polierte ihn dabei sogar ein wenig. “Es ist mein
Glücksbringer.” Die Lüge war so schrecklich, daß
sie wieder schön war. “Ich bekam ihn, als ich mit
meiner Mutter da war, ziemlich lange her schon.
Sie nahm mich mit ins ‘Bullet’.
Yvonne, die Informationsdame, lächelte, als sei das
das Schönste, was sie jemals gehört hatte.
“Umarme sie schön und gib ihr einen Kuß,” sagte
sie. “Es wird einfacher für sie einzuschlafen, wenn
sie Dich gesehen hat, anstatt die Pillen zu
schlucken, die die Ärzte ihr sonst geben würden.”
Sie zeigte hinter mich. “Die Fahrstühle sind da
drüben, gleich um die Ecke.
Da die Besuchszeiten vorüber waren, stand ich als
einziger wartend am Fahrstuhl. Links von mir war
ein Mülleimer, direkt neben der Tür vom
Zeitungskiosk, der geschlossen und dunkel war. Ich
riß den Button ab und warf ihn in den Eimer. Dann
wischte ich mir die Hände an der Hose ab. Ich war
immer noch beschäftigt, die Hände zu reinigen, als
eine der Fahrstuhltüren sich öffneten. Ich ging
hinein und drückte den Knopf für vier. Die Kabine
fuhr aufwärts. Über den Knöpfen für die Etagen
hing ein Poster zur Ankündigung eines
Blutspendetermins in der nächsten Woche. Als ich
es las, kam mir eine Idee…abgesehen davon, daß es
weniger eine Idee, sondern mehr schon Gewißheit
war. Meine Mutter lag im Sterben, genau in dieser
Sekunde während ich zu ihr nach oben fuhr in
diesem lahmen Industriefahrstuhl. Ich hatte dies
entschieden; es oblag also mir, sie zu finden. Es
ergab einen perfekten Sinn.
Die Fahrstuhltür öffnete sich und gab den Blick frei
auf eine weiteres Poster. Es zeigte einen ComicFinger auf eine Comic-Lippe gepreßt. Unten
drunter war zu in einer Zeile zu lesen U NSERE
P ATIENTEN BEDANKEN SICH FÜR DIE R UHE ! Neben
der Fahrstuhlkabine erstreckte sich der Gang nach
rechts und nach links. Die ungeraden
Zimmernummern waren auf der linken Seite. Ich
ging in diese Richtung, meine Turnschuhe schienen
bei jedem Schritt mehr an Gewicht zuzulegen. Ich
wurde langsamer in Höhe der vierhundertsiebziger
und blieb zwischen 481 und 483 stehen. Ich konnte
es nicht. Kalter und klebriger Schweiß rann wie
halbgefrorener Sirup tropfenförmig aus meinen
Haaren. Mein Magen fühlte sich an wie eine Faust
in einem glitschigen Handschuh. Nein, ich konnte
es nicht. Das Beste wäre umzudrehen und zu
türmen wie ein feiges Stück Scheiße. Per Anhalter
nach Harlow und nächsten Morgen Frau McCurdy
anrufen. Morgen sehen die Dinge bei Licht
betrachte schon wieder ganz anders aus.
Während ich anfing mich umzudrehen streckte
eine Krankenschwester ihre Nase aus einen Zimmer
zwei Türen weiter…das Zimmer meiner Mutter.
“Herr Parker?” fragte sie mit leiser Stimme.
Ich war drauf und dran, es abzuleugnen. Dann
nickte ich.
“Kommen Sie. Beeilung. Gleich ist sie nicht mehr
bei Bewußtsein.
Das waren genau die Worte, die erwartet hatte,
aber eine Woge von Krämpfen schüttelte mich,
meine Knie versagten.
Die Krankenschwester sah dies und rannte auf
mich zu, ihr Kittel raschelte, das Gesicht zeigte
Schrecken. Die kleine Anstecknadel auf ihrer Brust
zeigte A NNE C ORRIGAN . “Nein, Nein, ich meinte
doch nur die Beruhigungsspritze… Sie wird gleich
einschlafen. Oh mein Gott, ich bin so dämlich. Es
geht ihr gut, Herr Parker, ich habe ihr Ambien
verabreicht und sie wird jetzt einschlafen, daß ist
alles was ich meinte. Nicht bewußtlos werden jetzt,
hören Sie?” Sie ergriff meinen Arm.
“Nein,” antwortete ich, ohne zu wissen, ob ich nun
wirklich bewußtlos werden würde oder nicht. Die
Welt um mich herum brach zusammen und meine
Ohren brummten. Ich dachte daran, wie sich die
Straße unter dem Auto hindurchgeschlängelt hatte,
eine Straße wie in einem Schwarzweißfilm im
silbernen Mondlicht. “Bist Du mit dem ‘Bullet’
gefahren?” Ich war auf diesem Teil vier Mal.
Mann!”
Anne Corrigan führte mich in den Raum und ich
erblickte meine Mutter. Sie
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