Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
Ermittlungsbüro in Los Angeles. Das Problem war nur, dass sie überhaupt nicht aussah wie die ICPI-Ermittler, die ich bisher getroffen hatte. Die meisten von ihnen waren richtige Buchhaltertypen. Diese Frau sah aus wie ein Rockstar in Zivil. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Bezirksleiter die Punkfrisur dulden würde, von den Stilettoschuhen ganz zu schweigen.
»Ah, da ist sie ja«, sagte Mary. Sie extrahierte eine Akte aus der Mitte des Stapels. Der Ordner trug die Beschriftung »Diaz«, und an den vorderen Deckel war ein Notizzettel mit der neuen Anschrift geklammert. Sie angelte auf ihrem Schreibtisch nach einer Rechnung, die an das zugehörige Kuvert geheftet war. »Ich habe gerade einen ganzen Stapel neuer Rechnungen bekommen. Ich nehme an, sie war beim Chiropraktiker.«
»Vermutlich bei einem Subluxations-Spezialisten«, brachte ich den einzigen chiropraktischen Terminus an, den ich kannte.
Sie lochte die Rechnung und heftete sie in den Ordner. »Übrigens waren sie auch wegen Bibianna da. Deshalb wollte ich ja, dass Sie mit ihnen reden. Ich nehme an, das ICPI hat Wind davon bekommen, dass sie hierhergezogen ist. Sie hat letztes Jahr ein paar krumme Dinger in Santa Monica gedreht, und sie haben wohl gehofft, sie über uns aufspüren zu können.«
»Ist ja reizend. Versicherungs-Dinger?«
»So ausdrücklich haben sie es nicht gesagt, aber es muss doch wohl um Versicherungsbetrug gehen, oder nicht?«
Ich dachte noch einmal kurz über die Sache nach. Ich fragte mich, warum eine Angestellte des ICPI wohl jemanden, der für eine andere Institution arbeitete, »anlernen« sollte. Nicht, als würden das ICPI und die Versicherungsaufsicht nicht Zusammenarbeiten, aber die Zentralstelle ist keine staatliche Behörde. Und warum sollten Ermittler hierher angereist kommen? Würden sie nicht eher bei der CF anrufen, als die anderthalb Stunden Fahrt auf sich zu nehmen? Das Ganze ergab einfach keinen Sinn. Es sei denn, sie logen.
»Haben Sie ihnen diese Adresse gegeben?«, fragte ich, auf den Notizzettel deutend.
»Ich habe ihnen überhaupt nichts gegeben. Deshalb war ich ja so erstaunt, als Sie sagten, sie seien schon wieder weg. Ich habe ihnen nur bestätigt, dass wir hier eine Schadensmeldung vorliegen haben, der wir nachgehen. Warum?«
»Sie könnten sie sich beschafft haben, während Sie das Wasser geholt haben. Sie brauchten ja nur den Aktenstapel auf Ihrem Schreibtisch durchzugehen.«
»Ach, hören Sie doch auf. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass sie so was getan haben könnten.«
»Wer weiß? Wir können nur hoffen, dass sie echt waren.«
Sie legte sich die Hand aufs Herz, als wollte sie den Fahneneid schwören. »Gott im Himmel, was soll das heißen?«
»Ach, Sie wissen doch selbst, wie das ist. Man kann Leuten auch Visitenkarten geben, die gar nichts zu sagen haben. Das habe ich selbst auch schon getan.«
Mary fühlte sich offenbar in ihrer persönlichen Ehre gekränkt, denn sie schaltete jetzt plötzlich von Ängstlichkeit auf Aktivismus um. »Geben Sie her«, sagte sie. Sie schnappte mir die Karte aus der Hand und klatschte sie vor sich auf den Schreibtisch. Ich sah zu, wie sie die Vorwahl 213 und dann die aufgedruckte Telefonnummer wählte. »Ich bringe mich um, wenn sie nicht die ist, für die sie sich ausgegeben hat.« Sie horchte einen Moment in den Hörer, dann wurde ihr Gesicht lang und länger. Sie hielt mir den Hörer hin, der ein Geräusch von sich gab wie ein Abfallzerkleinerer, der eine lebende Ente zermühlt.
»Vielleicht haben Sie sich ja verwählt«, sagte ich aufmunternd.
»Mein Gott, ich kann’s nicht fassen, dass ich auf einen so plumpen Trick hereinfalle, aber es ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, an ihrer Identität zu zweifeln. Wie konnte ich nur so dumm sein?«
»Ach, nun seien Sie nicht so hart mit sich. Ich bin seit Jahren in diesem Geschäft und lasse mich immer noch oft genug reinlegen. Es liegt nun mal in der Natur des Menschen, erst mal zu vertrauen. Vor allem, wenn man selbst ehrlich ist. Nicht, dass ich so eine grundehrliche Haut wäre, aber Sie wissen schon, was ich meine.«
»Was glauben Sie, was sie vorhaben?«
»Keinen Schimmer«, sagte ich. »Offensichtlich kennen sie Bibianna und ihren Hang zur Mogelei. Die eigentliche Frage ist: Wie sind sie auf uns gekommen? Es gibt doch bestimmt hundert Versicherungs-Agenturen in Santa Teresa. Warum gerade die CF?«
»Das ist ja schrecklich. Mir ist ganz schlecht. Was können sie nur von ihr
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