Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
traurige Gegend.«
»Weil ich nicht weit von hier arbeite«, sagte ich, darauf hoffend, dass sie nicht nachfragen würde, wo. Ich würde mich notfalls wohl als Serviererin ausgeben, aber mir fiel ums Verrecken kein Restaurant in der Nähe ein.
Sie sah mich an. »Stimmt. Ich hoffe wirklich, dass ich bald hier wegkomme. Ich erwarte ein bisschen Geld, das demnächst kommen müsste.«
»Das ist ja toll. Darf ich vielleicht noch mal nachfragen?«
Sie sagte achselzuckend: »Klar, wenn Sie meinen. Ich würde Ihnen die Wohnung ja zeigen, aber es ist grade ziemlich unaufgeräumt. Es ist nur ein Raum, aber für einen allein reicht es. Haben Sie Möbel?«
»Na ja, ein paar.«
»Der Vermieter ist mit so was ziemlich großzügig. Das meiste, was drin ist, lasse ich da, wenn ich ausziehe. Aber Sie brauchen ein Bett.«
»Das habe ich«, sagte ich. »Hätten Sie vielleicht was zu schreiben? Dann kann ich mir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer notieren und vielleicht in ein paar Wochen noch mal anrufen.«
»Augenblick«, sagte sie. Sie schloss die Tür und erschien gleich darauf mit einem Stückchen Papier und einem Stift wieder. Ich sah sie erwartungsvoll an.
Sie reckte den Kopf, damit sie sehen konnte, was ich schrieb. »Diaz. Bibianna, mit zwei n .«
»Danke.«
Ich verabschiedete mich und fuhr nach Hause. Dort hatte ich endlich die Zeit, mir den Brief anzusehen, den ich aus Bibiannas Briefkasten geklaut hatte. Ich notierte mir Namen und Anschrift der Adressatin, einer gewissen Gina Diaz in Culver City, Kalifornien. Wahrscheinlich ihre Mutter oder Schwester. Ich entnahm der Schublade meines Schreibtischs eine Spraydose mit einer chemischen Mixtur, die Papier für dreißig bis sechzig Sekunden durchsichtig macht. Man braucht das Zeug nur auf einen Umschlag zu sprühen und kann dann den Inhalt lesen, ohne sich erst mit Wasserdampf abmühen zu müssen. Natürlich steht auf der Dose die strikte Warnung, dass jeder Verstoß gegen das Postgeheimnis im Rahmen der Postbeförderung durch die Post der Vereinigten Staaten mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und/oder einer Geldstrafe von 2000 Dollar bestraft wird. Du lieber Himmel, ich sollte mir wirklich ein kleines Sparkonto anlegen, für den Fall, dass ich irgendwann doch einmal bei meinen Machenschaften erwischt werde.
Ich drückte auf den Sprühknopf und nebelte den Umschlag ein. Dann hielt ich ihn gegen das Licht. Der Schrieb lautete: »Hi, Ma. Mir geht es so weit gut. Geld muss jeden Tag eintrudeln. Bitte sag Raymond nicht, dass du was von mir gehört hast. Liebe Grüße, B.«
Ich sah zu, wie der Umschlag wieder undurchsichtig wurde, ohne dass irgendeine Spur von Verfärbung oder Geruch zurückblieb. Ich ging raus auf die Straße und klemmte den Brief in meinen Briefkasten, damit der Postbote ihn am nächsten Tag mitnahm. Dann ging ich wieder zurück in mein Apartment, um rasch bei Mary Bellflower anzurufen. Ich erwischte sie noch, als sie gerade ihren Kram zusammenpackte. »Haben Sie schon was vom ICPI erfahren?«
»Noch nicht. Ich warte immer noch, dass sie mich zurückrufen.«
»Halten Sie mich auf dem laufenden«, sagte ich.
»Mach’ ich.«
Ich setzte Kaffee auf und stieg die Wendeltreppe hinauf in meinen Dachraum. Ich zog mich ein weiteres Mal um. Diesmal wählte ich ein schwarzes Trägerhemd, enge, knöchellange schwarze Hosen, kurze weiße Söckchen mit Spitzenbündchen und ausgelatschte halbhohe schwarze Pumps. Ich toupierte mir die Haare und machte mir mit einem Gummiband ein Schwänzchen, das als kleiner Puschel in die Höhe stand. Ich legte (ziemlich dilettantisch, wie ich gestehen muss) Lidschatten, Wimperntusche, Rouge und knallig roten Lippenstift auf. Dann klipste ich mir Hängeohrringe an, Riesendinger mit roten Klunkern, die niemand, der auch nur einigermaßen bei Verstand war, je für Rubine halten konnte. Zuletzt besprühte ich meinen ganzen Oberkörper mit billigem Parfüm. Ich musterte mich im Badezimmerspiegel. Ich wandte mich halb ab und schielte über meine hochgezogene Schulter, wobei ich einen Schmollmund zog. Absolut verführerisch... richtig nuttig! Ich hatte gar nicht gewusst, was alles in mir steckte.
Ich klackerte die Wendeltreppe hinunter in meine Kochnische und machte mir ein Oliven-und-Piment-Käse-Sandwich, das ich in eine Alu-Vesperbox packte. Außerdem rüstete ich mich noch mit zwei Graham-Crackern, einer Thermosflasche mit heißem Kaffee und einem Dick-Francis-Schmöker. Ich griff meine schwarze Lederjacke, steckte die falschen
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