Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
wollen?«
»Vermutlich nichts Gutes, sonst wären sie wohl direkt damit rausgerückt.«
»Was sollen wir jetzt tun?«
»Ich wüsste nicht, was wir tun könnten, solange wir keine Ahnung haben, was überhaupt läuft. Vielleicht sollten Sie mal die richtige Nummer des ICPI ausfindig machen und nachfragen, ob die hinter der Diaz her sind.«
Ich hielt den Zettel hoch.
»Ich werde so lange versuchen, an sie heranzukommen. Dann sehen wir weiter.«
5
Ich fuhr nach Hause und zog die Uniform aus. Ich nahm die falschen Papiere aus der Tasche der Uniformhose und schob sie in die Tasche meiner Jeans. Dann zog ich die Jeans an und dazu einen marineblauen Rollkragenpullover. Ich schlüpfte in Frotteesocken und Tennisschuhe und machte mich wieder auf den Weg zu Bibiannas Haus.
Ich konnte nur hoffen, dass Mary Bellflowers Naivität Miss Diaz nicht in Gefahr gebracht hatte. In der Einfahrt stand immer noch kein Wagen, und von dem Pärchen, das ich bei der CF getroffen hatte, war auch nichts zu sehen. Hatten sie die Adresse auf dem Stadtplan gesucht und sich sofort auf die Socken gemacht? Sie hatten etwa dreißig Minuten Vorsprung vor mir, also konnte es gut sein, dass sie jetzt gerade in dem Häuschen waren oder sogar schon wieder weg. Falls sie wirklich fix genug gewesen waren, die Adresse zu klauen. Ein paar Autos fuhren vorbei, aber in keinem sah ich ein bekanntes Gesicht. Zum zweiten Mal an diesem Tag ließ ich mein Auto abgeschlossen an der Straße stehen, um die Einfahrt entlangzugehen. Es war jetzt halb fünf, und in dem Häuschen brannte Licht. Als ich näher kam, stieg mir ein verlockender Duft nach heißem Olivenöl und Zwiebeln und Knoblauch in die Nase. Ich stieg die breiten Holzstufen hinauf. Diesmal konnte ich von drinnen die heitere Erkennungsmelodie einer komischen Fernsehserie hören, wahrscheinlich eine Wiederholung in einem der Kabelprogramme.
Ich klopfte an die Eingangstür, die gleich darauf von einer etwa fünfundzwanzigjährigen mexikanisch aussehenden Frau geöffnet wurde. Sie war barfuß und trug eine rote Satin-Hemdhose und darüber einen kurzen, roten, in der Taille locker zugeschlungenen Satin-Morgenrock. Sie war schlank — oder besser: zierlich — mit makelloser olivfarbener Haut und großen, dunklen Augen in einem herzförmigen Gesichtchen. Sie hielt zwei Schildpatt-Haarnadeln zwischen den Zähnen, als hätte ich sie gerade beim Frisieren gestört. Dunkles Haar hing ihr wie ein Tuch über den halben Rücken, und ein paar seidige Strähnen hatten sich über die rechte Schulter nach vorn verirrt. Während ich sie noch ansah, drehte sie das Haar zu einem Strang zusammen. Sie wand es zu einem raffinierten Knoten, den sie mit den beiden Haarnadeln feststeckte. »Ja?«
Mein dringlichstes Verlangen war es, mich auf die Zehenspitzen hochzurecken und über ihre Schultern in den Raum hinter ihr zu spähen. Das Häuschen bestand eigentlich nur aus einem großen Raum. Zur Abtrennung der verschiedenen Funktionsbereiche dienten grellbunt gefärbte Stoffsegel, die sich in dem Luftzug von der offenen Tür bewegten. Ein giftgrünes Segel grenzte den Wohnraum von der Küche ab, ein knallblaues entzog den größten Teil eines Messing-Bettgestells dem Besucherblick, über den Fenstern waren Bahn-Endstücke von lila Baumwollstoff befestigt, die um seitlich montierte Messinghaken geschlungen waren. Ich hatte diesen Tipp bereits in einer Frauenzeitschrift bei meinem Zahnarzt gesehen, aber noch nie in seiner wirkungsvollen Umsetzung bewundern dürfen. Das Mobiliar war ein wildes Sammelsurium aus Korbmöbeln und Sperrmüllstücken. Schalartige Auflagen aus blau-lila Baumwollstoff veredelten die durchgewetzten Armlehnen und verliehen dem Ganzen etwas Einheitliches. Der Effekt war verblüffend und suggerierte Kühnheit und Selbstvertrauen.
Ich merkte erst jetzt, dass ich mir gar keinen Vorwand zurechtgelegt hatte. Aber zum Glück bin ich ein alter Hase im Erfinden von Ausreden, und ich spürte, wie sich schon eine auf meiner Zunge formierte. »Tut mir Leid, wenn ich Sie störe«, sagte ich. »Ich... äh... bin auf der Suche nach einer Wohnung hier in der Gegend, und man hat mir gesagt, Sie würden vielleicht demnächst ausziehen.«
Ihr Blick war misstrauisch und ihr Ton brüsk. »Wer hat das gesagt?«
»Ach je, das weiß ich nicht mehr. Irgendwer aus der Nachbarschaft. Ich habe das Gefühl, dass ich schon tagelang hier herumrenne und überall anklopfe.«
»Warum wollen Sie denn grade hier wohnen? Das ist eine
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