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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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dort war kein Lebenszeichen zu bemerken, kein vorwurfsvolles Gesicht hinter den Scheiben zu entdecken. Ich streckte die Hand aus und blätterte sachte mit den Fingerspitzen durch die Briefe. Als kein Alarm ertönte, nahm ich den ganzen Stapel heraus, um ihn in aller Ruhe durchzusehen. Vier Briefe waren Überweisungen, für Telefon, Gas, Wasser und eine an ein Kaufhaus. Dann waren da noch zwei größere Umschläge, einer an die Aetna Versicherung und der andere an die Allstate adressiert und beide mit der Absenderangabe »Lola Flores«. Heiliger Strohsack, was da wohl drin ist, dachte ich. Diese Gauner kriegen den Hals einfach nicht voll. Es sah ganz so aus, als sei die California Fidelity nicht das einzige Opfer. Das siebte Poststück war offenbar ein persönlicher Brief, an eine Adresse in Los Angeles gerichtet. Ich pickte ihn heraus, faltete ihn zusammen und schob ihn mir vorn in den Schlüpfer. Schimpf und Schande. Das war ein schwerwiegendes Delikt — das Klauen von Briefen, nicht das mit der Unterhose. Ich steckte die restlichen Briefe wieder zurück. Mühsam den Impuls zum Rennen unterdrückend, schlenderte ich wieder die Stufen hinunter, die Einfahrt entlang und über die Straße zu meinem Auto.
    Ich öffnete die rechte Tür und warf das Notiz-Brett auf den Beifahrersitz, wobei ich um Haaresbreite das Bouquet verfehlte, und sah mich noch einmal um. Ich entdeckte einen Mini-Markt an der Ecke Huerto und Arroyo Street, etwa zehn Häuser weiter rechts. Ich marschierte hin, in der Hoffnung, ein Telefon zu finden. Das Geschäft war ein kleiner »Mom und Pop«-Laden, das Schaufenster mit selbst gemalten Werbeplakaten für Bier, Zigaretten und Hundefutter bepflastert. Drinnen war es schummrig, und der unebene Holzboden war mit Sägemehl bedeckt, das aussah, als sei es noch vom Bau des Hauses übrig. Das Angebot bestand hauptsächlich aus einem Sammelsurium von Konserven, das keinem ersichtlichen Ordnungsprinzip unterstand. Die zwei schmalen Gänge flankierten freistehende Warenregale, vollgepfropft mit allen möglichen Dingen, von Pampers über Pudding bis hin zu Rasenpflegeprodukten. Auf der Schaufensterseite sichtete ich eine Getränke-Kiihlbox und eine Krypta-artige Gefrierkammer, gefüllt mit Tiefkühlgemüse, Fruchtsäften und Eis. »Mom« stand vom am Kassentisch in einer weißen Rundumschürze, eine halbgerauchte Zigarette in der einen Hand. Sie war schätzungsweise fünfundsechzig, mit einer steifgesprayten Blondhaarfrisur und einem breiten Schorf-Schnauzer dort, wo man ihr die Oberlippenfältchen weggeschliffen hatte. Ihre Gesichtshaut war gestrafft und hinter den Ohren festgezurrt, was ihren Augen einen Ausdruck permanenten Staunens verlieh.
    »Haben Sie ein Münztelefon?«
    »Hinten beim Lager«, sagte sie, mit der Zigarette in die gemeinte Richtung gestikulierend. Ein halber Zoll Asche fiel ab und rutschte über ihre Schürzenfront.
    Ich schob vier Fünf-Cent-Stücke in den Münzschlitz und rief Mary Bellflower an, um ihr die mühsam errungene Adresse der guten Bibianna durchzugeben.
    »Danke. Das ist toll«, sagte sie. »Da kann ich ja endlich den Stapel Formulare abschicken, den ich hier liegen habe. Kommen Sie noch mal ins Büro?«
    »Ja, aber es dauert noch ein bisschen. Ich dachte mir, ich treibe mich noch ein Weilchen hier herum und warte, ob Bibianna auftaucht.«
    »Na gut, aber kommen Sie doch später noch mal vorbei. Dann können wir gemeinsam überlegen, wie es weitergehen soll.«
    »Ist Gordon Titus schon zurück?«
    »Nein. Noch nicht. Vielleicht haben Sie ihn ja in die Flucht geschlagen.«
    »Das bezweifle ich«, sagte ich. Als ich den Hörer einhängte, fiel ein Fünf-Cent-Stück in den Rückgabeschlitz. Ein echter Glückstag. Links von mir befand sich eine Fleischtheke mit einer schrägen Glasfront. Darüber hing ein Schild, das für das Imbissgericht des Tages warb: Chilibohnen, Kohlsalat und ein Tri-Tip-Sandwich für z Dollar 39. Es duftete göttlich. Tri-Tip ist offenbar eine regionale Spezialität, ein Fleischstück vom Rind, von dem anderswo noch nie jemand gehört hat. In Abständen versuchen irgendwelche Lokaljournalisten, dem Ursprung dieser Bezeichnung nachzugehen. Den jeweiligen Artikel ergänzt dann jedes Mal das Schaubild einer Muh-Kuh im Profil, in das sämtliche Fleischstücke eingezeichnet sind. Tri-Tip sitzt am Vorderende, gleich hinter der Wamme. Es wird gewöhnlich gegrillt, in Scheiben geschnitten und mit hausgemachter Salsa in einem Brötchen oder mit ein paar

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