Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
die Beamtin über meinen falschen Führerschein stolperte, aber sie schien nichts zu bemerken. Meine wenigen Besitztümer wurden registriert und in eine Art Gefrierbeutel eingeschweißt. Die ganze Prozedur dauerte etwa eine Viertelstunde und brachte mich ziemlich aus dem Lot. Ich fühlte mich merkwürdigerweise weniger gedemütigt als verkannt. Ich wollte mich zu erkennen geben, ihnen versichern, dass ich nicht die war, für die sie mich hielten, sondern eine anständige, gesetzestreue Bürgerin... im Grunde sogar eine von ihnen.
Die Aufnahme-Beamtin war jetzt mit ihrer Arbeit zu Ende. »Falls Sie telefonieren möchten — dort drüben in der Zelle ist ein Münztelefon.«
»Ich weiß sowieso nicht, wen ich anrufen sollte«, sagte ich, von einer absurden Dankbarkeit erfüllt, weil sie alle so freundlich waren. Was hatte ich denn erwartet? Beschimpfungen und Misshandlungen?
Auf Strümpfen wurde ich jetzt den Gang hinuntergeführt, zur erkennungsdienstlichen Aufnahme. Man nahm meine Fingerabdrücke, und ich wurde noch einmal fotografiert, diesmal von vorn und im Profil. Wenn das so weiterging, hatte ich bald ein kleines Album zum Muttertag zusammen. Es war z Uhr 13, als ich schließlich zur Ausnüchterungszelle gebracht wurde, einem Gelass von etwa fünf mal fünf Metern. Eine magere weißhäutige Frau schlief mit dem Rücken zu mir auf einer Matratze in einer der hinteren Ecken des Raums. Fenster nach draußen gab es nicht. Die ganze Front war vergittert, und in einer kleinen Nische auf der rechten Seite befand sich ein Kübelklo ohne Deckel. Ich habe auch schon Zellen gesehen, wo selbst der Sitz abmontiert ist. Also vertrauten sie wohl darauf, dass wir diesen hier nicht dazu verwenden würden, uns zu erhängen. Der Boden war aus beigen PVC-Fliesen, die Wände aus verputztem Mauerwerk. Über die ganze Breite zog sich eine fest installierte Bank. Mehrere dünne Matratzen lagen zusammengerollt darauf oder lehnten einfach an der Wand. Ich schnappte mir eine und rollte sie auf dem Boden aus.
Bibianna kam wenige Augenblicke später, zusammen mit zwei weiteren Gefangenen, einer schwarzen Frau und einem heulenden weißen Mädchen in einem Ballkleid.
»Hey, Hannah«, sagte Bibianna. »Allgemeines Wiedersehen. Das hier ist Nettie.« Sie wandte sich zu dem jungen Mädchen. »Und wie heißt du, Herzchen?«
»Heather.«
Bibianna sagte: »Heather, das ist Hannah.«
»Freut mich«, murmelte ich beflissen. Ich hatte keinen Schimmer von Knast-Etikette. Die magere Frau drüben in der Ecke bewegte sich unruhig im Schlaf.
Bibianna zog sich eine Matratze von der Bank und schleppte sie zu mir herüber. »Nettie und ich, wir waren schon mal zusammen hier, so vor einem Monat, stimmt’s?« Keine Antwort.
Die schwarze Frau sah aus wie Ende dreißig. Sie war groß, mit breiten Schultern und Brüsten wie Torpedos. Ihr dickes Haar war auf die rechte Seite gebürstet und stand dort in einer Masse von ihrem Kopf ab wie vom Sturmwind verweht. Die schwarzen Strähnen hatten einen Grauschimmer vor lauter Spliss. Sie trug Blue Jeans, ein großes, loses, weißes T-Shirt und weiße Frotteesocken. Bibianna arrangierte ihre Matratze neben meiner und setzte sich darauf. Sie betrachtete Nettie voller Respekt. »Sie ist hier wegen >versuchter Körperverletzung< und >Angriff mit einer tödlichen Waffe<. Sie ist mit einer entwurzelten Palme auf einen besoffenen Penner losgegangen. Ich nehme zwar an, es war eine kleine Palme, aber trotzdem.«
Unsere andere Zellengenossin, das junge weiße Mädchen, war bestimmt kaum zwanzig und trug ein knöchellanges Organza-Kleid und ein kleines Anstecksträußchen am Handgelenk. Sie weinte so heftig, dass es unmöglich war, etwas aus ihr herauszukriegen. Sie hockte da wie ein Häufchen Elend und verbarg das Gesicht in den Händen. Sie und Nettie hatten beide eine Fahne. Die schwarze Frau ging rastlos auf und ab und starrte auf Heather, die sich immerzu mit dem Rocksaum die Nase putzte. Schließlich blieb sie stehen, um das Tränenbündel mit dem Fuß anzustupsen: »Was ist denn, dass du so heulen musst? Jetzt halt mal kurz an und erzähl mir, was los ist.«
Das Mädchen hob ihr ein tränenüberströmtes, vor Schamröte fleckiges Gesicht entgegen. Die Nase war dunkelrosa, das Make-up verschmiert, und das hellblonde Haar löste sich aus einem komplizierten Gebilde auf dem Oberkopf, das aussah, als stammte es vom Friseur. Kleine Stengelchen Schleierkraut steckten darin wie blasse, vertrocknete Ästchen. Sie angelte
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