Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
in Büscheln ab. Ich war mir sicher, dass die Wimperntusche und der Lidstrich sich zu jenem Waschbär-Effekt verteilt hatten, den Frauen an sich so schätzen. Das nuttige Outfit, das ich mir zusammengemixt hatte, war nicht nur zerknittert, sondern auch immer noch ein bisschen feucht. Ach, scheiß drauf. Falls sie mich misshandeln würden, brauchte ich mir wenigstens nichts draus zu machen, wenn ich meine Klamotten vollblutete.
Die Tür ging auf, und herein kam Lieutenant Dolan, begleitet von einem anderen Mann, der wohl ebenfalls ein Zivilbeamter war. Zum ersten Mal seit Beginn dieser ganzen Tortur überkam mich Angst. Dolan war der letzte, von dem ich wollte, dass er mich in diesem Zustand sah. Ich fühlte, wie mir die Schamröte den Hals hinaufkroch. Dolans Begleiter war in den Sechzigern, mit dichtem, zurückgekämmtem Silberhaar, breitem Gesicht, tiefliegenden Augen und nach unten gezogenen Mundwinkeln. Er war größer als Dolan und wesentlich besser in Form, kräftig gebaut, mit ausladenden Schultern und massigen Oberschenkeln. Er trug einen Dreiteiler in gedecktem Giencheckmuster und dazu ein hellblaues Hemd und eine breite, kastanienbraune Krawatte mit einem Blumenmuster, das besser auf einen Sofabezug gepasst hätte. Er hatte einen Goldring an der rechten Hand und an der linken eine Uhr mit einem breiten Goldarmband. Er raffte sich gar nicht erst zu irgendwelchen Höflichkeiten auf. Falls er irgendeine Meinung über mich hatte, ließ er sie sich nicht anmerken. Zusammen schienen die beiden Männer den Raum auszufüllen.
Lieutenant Dolan steckte den Kopf in den Gang hinaus und sagte irgendwas zu irgendwem. Dann schloss er die Tür. Er rückte sich einen Stuhl ab und setzte sich rittlings darauf. Der andere Mann setzte sich ebenfalls und schlug, nachdem er das eine Hosenbein ein wenig gerafft hatte, die Knie übereinander. Er ließ die großen Hände locker in seinem Schoß ruhen und verzichtete darauf, mich anzusehen.
Verglichen mit ihm wirkte Dolan geradezu munter. »Ich habe uns Kaffee geordert. Sie sehen aus, als könnten Sie welchen gebrauchen.«
»Woher wussten Sie, dass ich hier bin?«
»Ein Polizeibeamter hat Sie erkannt, als Sie hergebracht wurden, und mich benachrichtigt«, erklärte er.
»Wer ist das?«, fragte ich mit einem Blick auf den anderen Mann. Ich sah nicht ein, weshalb er den Vorteil der Anonymität genießen sollte. Er wusste offensichtlich, wer ich war und genug über meine Person, um sich unverhohlenem Desinteresse hinzugeben.
»Lieutenant Santos«, sagte Dolan. Santos regte sich nicht. Was war das? Die Woche der stieseligen Männer?
Ich stand auf und beugte mich mit vorgestreckter Hand über den Tisch. »Kinsey Millhone«, sagte ich. »Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
Er reagierte so langsam, dass ich mich schon fragte, wie weit er die Unhöflichkeit zu treiben gedachte. Wir wechselten einen Händedruck, und er begegnete meinem Blick gerade so lange, dass ich in seinen Augen steinerne Neutralität ausmachen konnte. Ich hatte zunächst gedacht, er hätte etwas gegen mich, sah mich jetzt aber gezwungen, diese Einschätzung zu revidieren. Er hatte überhaupt keine Einstellung zu mir. Vielleicht konnte ich ihm nützlich sein. Er war sich noch nicht darüber im klaren.
Es klopfte an der Tür. Dolan beugte sich hinüber und öffnete sie. Ein Beamter reichte ihm ein Tablett mit drei Styroporbechern mit Kaffee, einer Tüte Milch und ein paar Päckchen Zucker. Dolan dankte ihm und schloss die Tür wieder. Er stellte das Tablett auf den Tisch und reichte mir einen der Becher. Santos griff sich ebenfalls einen. Ich goss Milch in meinen und gab zwei Päckchen Zucker dazu, in der Hoffnung, es würde mich vielleicht noch rechtzeitig ankurbeln. Der Kaffee war zwar nicht heiß, schmeckte aber köstlich, so sanft und süß wie Karamell.
»Was ist mit Jimmy Tate?«, fragte ich.
»Im Moment ist er wegen Mord dran. Ein guter Anwalt kann es vielleicht auf Totschlag runterhandeln, aber darauf würde ich mich bei seiner Vorgeschichte nicht verlassen«, erklärte Dolan. »Würden Sie uns vielleicht ein bisschen mehr über diese Schießerei erzählen?«
»Sicher«, sagte ich eilfertig, wobei ich mir darüber im klaren war, dass ich nicht darum herum kommen würde, die Wahrheit ein bisschen zu strapazieren. »Die California Fidelity hat mich beauftragt, mich um Bibianna Diaz zu kümmern, wegen Verdachts auf versuchten Versicherungsbetrug. Ich habe mich bemüht, so weit an sie heranzukommen, dass
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