Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
Norden. Auf den ersten zehn Meilen kontrollierte ich ständig den Rückspiegel. Der Tag war sonnig, und die Zahl der Wagen, die unterwegs waren, wirkte beruhigend, obwohl der Verkehr, als ich Salton City erreichte, schon erheblich nachgelassen hatte. Ich fummelte am Autoradio und versuchte einen Sender zu finden, der mehr von sich gab als Störgeräusche oder die Preise von Sojabohnen, Luzernen und Zuckerrüben. Ich erwischte ein paar Takte der Beatles und konzentrierte mich kurz darauf, den Sender genauer einzustellen.
Als ich aufblickte und ganz automatisch in den Rückspiegel schaute, entdeckte ich den roten Dodge-Lieferwagen, der von hinten heranraste. Er konnte nicht mehr als fünfzig Meter hinter mir sein und fuhr bestimmt seine achtzig Meilen, während ich nur fünfundfünfzig drauf hatte. Ich schrie vor Überraschung laut auf und trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch, um ihm zu entkommen. Es war natürlich vergebliche Liebesmüh. Der Motor starb mir um ein Haar ab, als er sich so misshandelt fühlte; er stotterte, der Wagen hoppelte, schlitterte und machte einen Sprung, bevor er vorwärtsstürmte. Der Kühlergrill des Lieferwagens tauchte in meiner Heckscheibe auf und füllte sie ganz aus. Es war klar, dass der Kerl sich an meinen Auspuff hängen und mich rammen wollte. Ich riss das Steuer nach rechts, aber nicht schnell genug. Der Dodge erwischte mich an der hinteren Stoßstange, und zwar mit solcher Wucht, dass mein Wagen sich um hundertachtzig Grad drehte und ich statt in nördliche in südliche Richtung blickte. Ich knallte den Fuß auf die Bremse, und der VW rutschte am Seitenstreifen entlang. Ein Sprühregen aus Kieselsteinen flog in die Luft. Meine Handtasche schien mir von selbst auf den Schoß zu hüpfen. Der Motor starb ab. Ich drehte den Zündschlüssel herum und beschwor den Wagen, anzuspringen. Der Highway war leer, wie ich beiläufig feststellte. Weit und breit keine Hilfe in Sicht. Wo waren sie nur alle? Ein Stück vor mir folgte auf der linken Seite eine unbefestigte Straße der Kurve eines Bewässerungskanals, der an ein Brachfeld grenzte, aber weit und breit kein Farmhaus oder ein anderes Zeichen von Leben.
Hinter mir hatte der Dodge gewendet und fuhr mit hoher Geschwindigkeit direkt auf mich zu. Ich bearbeitete den Anlasser, fast heulend vor Angst; voller Entsetzen sah ich im Rückspiegel, wie der Dodge immer schneller wurde. Diesmal rammte er mich mit einer Wucht, die den VW ungefähr zehn Meter weiterschleuderte. Es krachte ohrenbetäubend. Ich prallte mit der Stirn so heftig gegen die Windschutzscheibe, dass mir schwarz vor den Augen wurde. Das Sicherheitsglas zersprang in ein feines Krakelee, das wie Zuckerguss aussah. Der Sitz brach entzwei, und da der Sicherheitsgurt mich nicht mehr hielt, prallte ich gegen das Steuer. Was mich vor ein paar gebrochenen Rippen bewahrte, war einzig und allein die Handtasche auf meinem Schoß, die wie ein Airbag den Aufprall milderte.
Der andere Fahrer schaltete in den Rückwärtsgang und gab Gas. Der Lieferwagen schnellte zurück, wieder kreischte das Getriebe, und der Wagen preschte vorwärts, rammte mich wie ein Autoscooter. Ich fühlte, wie mein VW den Boden unter den Rädern verlor und nach einem kurzen Flug im Abwasserkanal landete. Um mich herum spritzte das Wasser nach allen Richtungen hoch auf wie Gischt. Mein Kopf flog gegen die Kopfstütze, knallte dann nach vorn auf das Armaturenbrett, und ich zerbiss mir fast die Zunge. Ich presste die Hand auf den Mund und betastete automatisch meine Zähne, um mich zu überzeugen, dass noch alle heil waren. Mein VW schien kurz zu schwimmen und sank dann in den schlammigen Kanalboden ein.
Das Abflusswasser war nur etwa neunzig Zentimeter tief, aber beide Autotüren waren aufgesprungen, und die schlammige Brühe drang in den VW. Auf dem Randstreifen über mir stieg der Angreifer aus dem Lieferwagen und kam mit einem Montiereisen in der Hand nach hinten. Vielleicht glaubte er, dass es besser zu einem Autounfall passte, wenn er mich erschlug, statt mir eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Er war ein großer, kräftiger Mann, ein Weißer mit Sonnenbrille und Baseballmütze. Wimmernd vor Angst, fummelte ich in der Handtasche nach meiner Waffe, ließ mich aus dem VW rollen, kauerte in seinem Schutz im Schlamm und schob eine Patrone ins Magazin. Ich legte den Pistolenlauf auf das Autodach und stützte ihn seitlich mit beiden Händen ab, damit er nicht zitterte.
Wie durch ein Wunder kam der Typ aber nicht
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